HEUTE: 1. Komische Oper Berlin – „Echnaton” / 2. Wintergarten – "Varieté Gaga“ / 3. Komödie im Ernst-Reuter-Saal – „Sherlock Holmes: Der Fall Moriarty“
Als Kind sei er besessen gewesen von Archäologie, offenbart Barrie Kosky. Jetzt mache er dasselbe mit Oper und Theater. In seiner Zeit als Intendant der Komischen Oper wie auch als Regisseur hat sich der Australier für viele vergessene Werke engagiert. Nun aber hat er es mit „Echnaton“ mit einem gewaltigen Stück Musiktheater zu tun bekommen, das vom Komponisten Philip Glass bereits wie ein Ausgrabungsfund präsentiert wird, bestehend aus vielen Fragmenten, wie man sie in archäologischen Museen sieht.
Ein Stück über einen ägyptischen Pharao. Und ausgerechnet hier verzichtet Regisseur Kosky, der frühere Ägypten-Freak, auf Bilder vom Reich am Nil. Echnaton, dessen Gattin Nofretete hierzulande dank der berühmten Büste auf der Museumsinsel geläufiger sein dürfte, gilt als Reformer, als Revolutionär. Als König erschütterte er den ägyptischen Vielgötterstaat zugunsten eines einzigen Gottes, Aton. Damit wurde der Pharao Vorläufer der drei monotheistischen Religionen.
Nach „Einstein on the Beach“ über die wissenschaftlichen Entdeckungen und „Satyagraha“ über Mahatma Ghandi schließt „Echnaton“ von 1984 eine Trilogie von Porträtopern ab, in denen der amerikanische Komponist Glass die Macht von Ideen behandelt. Der Dreiakter erzählt von Aufstieg, Herrschaft und Fall Echnatons. Nicht alles ist historisch verbürgt. Es gibt keine lineare Handlung, es braucht die Erläuterungen des Erzählers. Gesungen wird, im Chor und in wenigen Solopartien, vorwiegend in den antiken Sprachen der Originalquellen.
Musik versetzt in Trance
Die Inszenierung Koskys lässt sich keiner Epoche zuordnen. Im Gedächtnis bleibt die phänomenale Bühne von Klaus Grünberg. Ein weißer, raffiniert ausgeleuchteter Kasten, in dem mit dem Dualismus von Schwarz und Weiß gespielt wird. Tod und Finsternis einerseits, das Leben, das die Sonne dank Gott Aton spendet, andererseits. Ganz anders als zu Beginn der Spielzeit, als man Händels „Messias“ im Hangar des Flughafen Tempelhof eine Alltagsgeschichte mehr oder weniger aufzwang (mehr dazu im Blog Nr. 491 vom 30. September 2024), zeigen nur wenige Bilder einen Bezug zur Realität auf.
Glass, einer der Urväter der Minimal Music, hat nie den atonalen Weg seiner Kollegen eingeschlagen. Manche seiner Klangkaskaden erinnern an Pop-Kreationen wie von Pink Floyd oder an Techno. Sein Musikprinzip ist die ständige Wiederholung einfacher Melodien, Harmonien, Rhythmen, mit winzigen, aber wichtigen Varianten, die Dirigent Jonathan Stockhammer mit seinen Instrumentalisten geschickt hervorhebt.
Die Musik versetzt die Hörer in Trance. Oder lullt ein, je nachdem. Fast 50 Minuten dauert es, bis der Titelheld seine ersten Solotöne liefern darf. Der Herrscher wird von einem Countertenor, John Holiday, gesungen. Anders als bei Barockopern, wo dieses Stimmfach gewöhnlich anzutreffen ist, muss er es hier mit einem großen Klangapparat aufnehmen. Es gelingt ihm, an der Seite von Susan Zarrabi als Nofretete und Sarah Brady als des Königs Mutter Teje, bravourös.
Hupfdohlen im Wüstensand
Prächtig gewandet ist Holiday in den Kostümen von Klaus Bruns, mit Reifrock unter anderem, also nonbinär, als Hermaphrodit. Kosky arbeitet diesmal ohne seinen Partner Otto Pichler, als Choreograph zitiert er aber aus gemeinsamen Produktionen. Queere Hupfdohlen im Abendkleid, das ist ein bisschen wie ein Käfig voller Narren im Wüstensand. Aber gerade wenn es um Macht und Machtwechsel geht, sorgen die „Bewegungssequenzen“ für eindrückliche, düstere Momente.
Wie ein Mantra, wie ein Gebet, will Barrie Kosky die Oper auch szenisch verstanden wissen. Ist es Absicht, dass man trotzdem an die Gegenwart denkt? Gerade wenn in dieser Oper Zeitenwenden eingeläutet werden und sich Herrscher selber mit Superlativen überschütten, kann man nicht anders. Make Egypt great again.
Komische Oper im Schillertheater, 5. und 11. April. Hier geht’s zu den Karten.
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Ganz allein in der riesengroßen Stadt. Alles neu, alles aufregend. Und anfangs ganz schön einsam. Unzählige Berlin-Stories fangen so an. Der Ankömmling, der sich ins Abenteuer stürzt, um neue Freunde zu finden. Mein erstes Konzert in Berlin erlebte ich im Quartier Latin, Jazz-Legende Chet Baker spielte dort. Dabei kam ich mit einem Mädchen ins Gespräch, sie gab mir später in der U-Bahn ihre Telefon-Nummer. Ich bin nie dazu gekommen, sie anzurufen…
Am Ort des früheren Quartier Latin residiert seit 1992 der Wintergarten. Und hier im Varieté-Theater verfolgen wir nun Jack Woodheads Anreise mit dem Zug durch den Eurotunnel zum Hauptbahnhof. Wo all die Gestalten warten, die man da so trifft, und die sich nach und nach als brillante Artisten entpuppen. Woodhead, der im Wintergarten schon sehr bekannte britische Entertainer, ist Gastgeber bei „Varieté Gaga“. Die „Crazy Berlin Show“ verklärt diesmal nicht die Vergangenheit der Spree-Metropole, sondern hat die Gegenwart fest im Blick.
Woodhead kam ja selber einst als Greenhorn hier an, fürs Musikstudium. In der neuen Show wird er erst gegen Ende zum queeren Paradiesvogel. Am Anfang erscheint er noch, im braven Pulli, als ungewohnt schüchternes Mauerblümchen, dem von der Videowall ein gutes und ein schlechtes Gewissen zureden. „Üben, üben, üben“, fordert das eine. „Stürze dich in die Berliner Nächte“, das andere. So wie der Künstler zu oft eigenen Songs am Bechstein brilliert, so exzentrisch wiederum das Bühnenspektakel gerät, scheint der junge Mann beide Stimmen beherzigt zu haben. Ebenso wie Regisseur und Bühnenbildner Rodrigo Funke künstlerischen Anspruch und Sensationslust elegant unter einen Hut bringt.
Das Leben ist ein Seiltanz
Wir begleiten Greenhorn Woodhead durch den Mauerpark, den Tiergarten, mit der BVG im Ersatzverkehr, aufs Bürgeramt oder ins Berghain. Dazu bekommen wir Spitzenleistungen internationaler Artisten geboten. Nicht so sehr wie bei der Show über Josephine Baker (mehr dazu im Blog Nr. 488 vom 9. September 2024) in die Geschichte eingebunden, aber doch immer Bezug nehmend auf die Wege des Hauptdarstellers.
Wie fühlt es sich an, wenn man noch nicht weiß, wohin einen das Leben treibt? So unsicher wie auf einem Schlappseil. Wobei die junge Ukrainerin Ameli Bylik genau weiß, wie sie sich auf dem ungespannten millimeterdünnen Seil bewegen muss. Als Punkgöre verkleidet, im einarmigen Handstand, mit drehenden Reifen an beiden Füßen und der freien Hand: die atemberaubende Performance wurde mehrfach ausgezeichnet. Wenn Woodhead das Liebeslied „Für immer und Dich“ von Rio Reiser singt, hebt das Hand-auf-Hand-Duo Art of Freedom zum halsbrecherischen wie frivolen Pas de deux an. Im Café an der Spree agiert der französische Zappelphilipp David Burlet wie ein durchgeknallter Kellner kunstvoll und schreiend komisch mit allerlei Geschirr. Im Bürgeramt wiederum überraschen der spießige Büroangestellte Toni Farelli und seine sächsische Reinigungsfachkraft Frau Schmidt mit Comedy-Artistik auf dem Einrad.
Motorradfahrer im Kugelkäfig kannte ich bisher nur vom Rummelplatz. Dank Dany Daniel’s tollkühnem Trio erlebt man die rasante Darbietung in einem eigens für den Wintergarten entworfenen Kugelkäfig erstmals in einem Innenraum. Mit Elektromaschinen, also nachhaltig, wie der tolle Abend.
Wintergarten Varieté, bis 31. Mai. Hier geht’s zu den Karten.
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Der Mann aus Londons Baker Street ist der berühmteste Detektiv der Welt. Unbestechlich, rational denkend, das einzige Laster die ständig qualmende Pfeife: So kennen wir Sherlock Holmes aus den Romanen von Arthur Conan Doyle und aus zahllosen Verfilmungen. Musical- und Schauspiel-Autor Ken Ludwig („Otello darf nicht platzen“) hat 2023 eine Komödie rausgebracht, in der es um bis dato nicht für möglich gehaltenen Emotionen des Ermittlers geht. Beim Besuch in der Oper hat sich der Meisterdetektiv nämlich in eine junge Amerikanerin verguckt, in die Actrice Irene Adler. Was er natürlich nicht zugibt. Doch sein treuer Gefährte Doktor Watson ahnt, dass Sherlock momentan nicht ausschließlich an die Aufklärung von Verbrechen denkt. Dabei scheint er selbst insgeheim mehr als nur freundschaftliche Gefühle gegenüber Sherlock zu hegen.
„Sherlock Holmes: Der Fall Moriarty“ ist eher Klamauk als Krimi. Ein Mordsvergnügen voller Slapstick, das uns die Kudamm-Komödie im Ernst-Reuter-Saal bietet. Fünf Schauspielerinnen und Schauspieler, meist aus dem Fernsehen bekannt, übernehmen 30 Rollen. Wobei Jan Sosniok („Gute Zeiten, schlechte Zeiten“) ausschließlich Sherlock Holmes spielt. Der smarte Oliver Dupont, Stammkraft bei den Woelffers, schlüpft als Watson noch in die Rolle des Erzählers. Kombiniere: Alle übrigen Rollen verteilen sich auf drei Personen.
Die rasanten Wechsel von Kostümen und Perücken lassen den Fall Moriarty fast in den Hintergrund treten. Professor Moriarty ist der grausame Gegenspieler und zudem seit der gemeinsamen Studienzeit eine Art Alter ego des Ermittlers. Irene, die neue Bekanntschaft, ist maßgeblich in den Fall involviert. Sie hatte nämlich eine Liaison mit dem König von Böhmen. Im Gerangel um pikante Fotos und Briefe mit versteckten Botschaften gibt es bald Tote.
Lust auf Slapstick ist gefragt
Umso lebendiger läuft das Stück des Autors, der dem Theater bereits die Bühnenfassung des erfolgreichen „Mord im Orientexpress“ bescherte. Bei Sherlock Holmes merkt man, dass die doch sehr leichtmusige Inszenierung von Jan Müller und Daniel Krauss am Winterhuder Fährhaus länger gespielt wurde. Michael Raab hat bei der Übersetzung auch deutsches Lokalkolorit eingebaut. Im Vergleich zum hyperaktiven Mörderspiel „Cluedo“, das die Komödie am Potsdamer Platz präsentierte (mehr dazu im Blog Nr. 474 vom 25. März 2024), lässt Sherlock Holmes in Reinickendorf mehr Zeit zum Durchatmen.
Was nicht für Katy Karrenbauer gilt. Die Schauspielerin, bekannt aus dem Fernseh-Frauenknast („Hinter Gittern“), haut unter anderem als durchtriebene Mrs. Barabas im Tonfall einer Hamburger Puffmutti oder als Haushälterin und Barkeeper darstellerisch auf den Putz. Comedy-Star Alexis Kara („heute show“) überzeugt etwas feinfühliger als König Otto im Garry-Glitter-Outfit, als sächselnder Moriarty, als einfältiger Scotland-Yard-Inspektor Lestrade oder als Sherlocks älterer Bruder Mycroft. Wesentlich weniger wechselt Anna Julia Antonucci („Rabenmütter“) die Rollen, sie beteiligt sich vor allem als Irene Adler munter am Detektivspiel.
Bemerkenswert die Bühne, die Regisseur Jan Müller entworfen hat, sie lässt sich mit wenigen Handgriffen verwandeln. Von Sherlocks Wohnung über Zugabteile, Botschaftsgebäude, geheimnisvolle Keller bis zum Wasserfall in den Schweizer Alpen, wo es zum Showdown kommt. Ob das Ende wirklich happy ist, wissen wir nicht. Serien-Bösewichter wie Moriarty scheinen unsterblich.
Komödie im Ernst-Reuter-Saal, bis 27. April. Hier geht’s zu den Karten.
1. Staatsballett Berlin Alles nur geträumt
2. Deutsches Theater Wunschträume und andere
3. Yorck-Kinos Der Alb-Traum vom Ruhm
1. Komische Oper Die Macht der Ideen
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3. Komödie Emotionen stören beim Ermitteln
1. Bar jeder Vernunft Das Leben ist schön – meistens
2. Theater Strahl Klug gekleistert
3. Grips Vom Kreuz des Erwachsenwerdens
1. Schaubühne Vexierspiel mit Komödianten
2. Gorki „Ich bin das Lied“
3. Renaissance Theater Na wat denn, wat ist das für ne Stadt denn
1. Berliner Ensemble Wer ist Faust, wer Mephisto?
2. Neuköllner Oper Vom Glück der kleinen Fische
3. Deutsches Theater Gegen die Gleichgültigkeit
1. Chamäleon Mitreißend vital
2. Volksbühne Männer mordend
3. Deutsches Theater Morbider Charme