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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 512

Kulturvolk Blog | Sibylle Marx

von Sibylle Marx

10. März 2025

Heute: 1. Bar jeder Vernunft – „Tim Fischer singt Hildegard Knef – Na und“ / 2. Theater Strahl – „Krug zerbrochen!“ / 3. Grips – „Bülowstraße“

1. Bar jeder Vernunft - Das Leben ist schön – meistens

"Tim Fischer singt Hildegard Knef: Na und" in der Bar jeder Vernunft © Tine Acke

Dieser Abend ist einfach großartig!

Wenn Tim Fischer die Bühne in der Bar durch den schimmernden Show-Vorhang betritt und die ersten Töne von „In dieser Stadt“ erklingen, scheint dem gesamten Saal der Atem zu stocken.

Das schmale in blau und schwarz glitzernde geschlitzte Kleid, darüber ein federleichter Umhang aus Seidentüll, die blonden halblangen Haare, unter deren Pony die Augen strahlen, schwarz umrandet und die Wimpern mindestens doppelt getuscht. So ist sie uns , die wir sie kennen, in Erinnerung, und so steht sie jetzt da von und singt: Die Knef!


Auch selten gehörte Lieder


Fischer beginnt mit bekannten Songs wie „‘Ne Dame werd ich nie“ und „Berlin, dein Gesicht hat Sommersprossen“ – quasi zum Mitsingen – und führt dann zu selten gehörten Liedern, die eine Frau zeigen, die tough ist, die weiß, was sie wert ist, die es mit allen aufnimmt. Die aber genauso intensiv leidet, unglücklich und verletzt ist.

Das alles vermittelt Tim Fischer singt Hildegard Knef – Na und“ fast ausschließlich über die Lieder. Keine Moderationen, keine Anekdoten aus Knefs Lebene lenken ab, eine Melodie führt zur nächsten. Mathias Weibrich begleitet am Flügel. Er hat die Arrangements geschrieben (am Bass Lars Hansen, an den Drums Bernd Oezsevim) und es ist ihm gelungen, das große Orchester, das Hildegard Knef auf ihren Konzerten begleitete, auf diese drei Instrumente zu reduzieren. Und es fehlt nichts.


Hier stimmt alles


In die Pause werden wir mit den regnenden roten Rosen entlassen und in den zweiten Teil geführt mit „Von nun ging’s bergab.“ Tim Fischer strebt der Bühne durch den Saal zu – nun im berühmten weißen Kassakkleid, wadenlang, mit Glockenärmeln und breiten Strassbordüren. Auch jetzt sitzt jeder Ton, stimmt jede Bewegung vom Schmeißen des Kopfes von einer auf die andere Seite, über das Ausbreiten der Arme, das die ganze Welt zu umfangen scheint bis hin zum Flattern der Finger an der erhobenen Hand.

Lieder wie „Wie viel Menschen waren glücklich, dass du lebtest“ oder „Ein Freund, mein Freund ist gestorben“ berühren. Diese melancholische Stimmung wird immer wieder gebrochen, am schärfsten mit dem Fragebogen-Lied, das von der Ausfüllenden unzählige Auskünfte zu Leben und Gesinnung (!) verlangt. Die Testperson kontert mittels Goethe, Götz von Berlichingen… Diesen komisch-ernsten Song mit seinen nicht enden wollenden Fragen ohne Teleprompter zu singen – das muss man erst mal drauf haben. Der Saal tobt.

Tim Fischer begegnet der Knef in seiner Interpretation mit großem Respekt, aber auch mit Augenzwinkern und Humor, und er schafft es spielend, uns diese außergewöhnlichen Frau so nahe zu bringen, dass sie uns wie eine Freundin scheint. Denn sie liebt das Leben wie wir und hat genau so mit seinen Widrigkeiten zu kämpfen wie wir. Wir halten uns an sie und sagen: Na und!

Bar jeder Vernunft, bis zum 16. März. In der kommenden Woche ist alles ausverkauft, aber im September wird es weitere Vorstellungen geben.


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2. Theater Strahl - Klug gekleistert

"Krug. Zerbrochen!" im Stheater Strahl am Ostkreuz © Jörg Metzner

„Der zerbrochne Krug“ von Heinrich von Kleist ist für junge Erwachsene sicher nicht erste Wahl bei der Schullektüre und auch ein vom Lehrpersonal geplanter gemeinsamer Theaterbesuch sorgt vermutlich bei den Schülern nicht für Begeisterung.

Das könnte sich nach dem Besuch im Theater Strahl am Ostkreuz, dessen neue Hauptspielstätte seit letztem Sommer fertiggestellt wurde jetzt und über zwei technisch multifunktional einsetzbare Bühnen verfügt, nachhaltig ändern.

Denn wie das Ensemble um Anna Vera Kelle mit Kleist umgeht, ist klug und macht vor allem viel Spaß. Wer nichts über Kleist weiß und/oder auch den „Zerbrochnen Krug“ nicht kennt, hat an diesem Abend keine Probleme, denn die wichtigsten Daten zum Leben des Dichters und zum Stück werden gleich zu Beginn vermittelt.
Die Vorlage von Uta Bierbaum kommt locker, aber nicht platt daher und dürfte sowohl junge wie ältere Theaterbesucher erreichen.

Nachdem die Fakten zu Kleist geklärt sind, geht es an den dramatischen Text, der original zitiert, aber mit Kommentaren und Fragen der Spieler untereinander konfrontiert wird. Und so wächst mit der sich nach und nach entblätternden Geschichte um den lügenden Dorfrichter Adam die Erkenntnis: Dieser Kleist ist sehr modern und hochaktuell. Erstens: Alles hat seine zwei Seiten. Zweitens: Männer in Machtpositionen, die ihre Stellung missbrauchen, gilt es auch heute zu entlarven. Drittens: Es gilt vor allem sich gegen sie zu wehren.


Rot besticht


Als beherrschende Farbe im schwarzen Raum (Ausstattung: Andreas S. Strasser) ist mir leuchtendes Rot in Erinnerung geblieben: Rote Schuhe, rote Morgenmäntel aus Seide mit Samtaufschlägen, eine rote Schärpe über einem grauen Straßenanzug, ein rotes Barett.
Das Zentrum der Bühne, auf der Amos Detscher, Yasmina Hempel, Matthias Kelle und Anja Kunzmann als Spieler und als Live-Band allesamt großartig agieren, ist ein rundes Podest, das rechts von einem Hochstuhl flankiert wird, der an einen Tennis-Schiedsrichter-Stuhl erinnert ( mit einer roten Sitzfläche...).
Ein dreiseitiger, aus Lamellenwänden bestehender Kasten im hinteren Teil, entpuppt sich – nach vorn offen – als Künstlergarderobe und lässt – zurückgedreht und wieder geschlossen – den Mißbrauch ahnen, aber nicht wirklich sehen. Ein Hinweis darauf, dass Vergewaltigungsopfern häufig nicht geglaubt wird, bzw. die Beweislast bei ihnen liegt.


Über Kleist hinaus


Die vier Spieler, die auch Musiker einer tollen Band sind, springen leichtfüßig und dabei kraftvoll von einer Figur in die andere, es gibt keine festgelegten Rollen. Das führt uns beinahe unbemerkt auf eine zweite Ebene, mitten hinein in die Höhen und Tiefen des theatralischen Probenprozesses, der quasi zeitgleich zur Aufführung erlebbar wird.
Wer trifft die Entscheidungen? Wie umgehen mit einem Chef – hier der Schauspieldirektor – der noch nicht mal das Stück kennt, aber die Macht hat, Rollen zu verteilen? Lohnt es, sich gegen ihn aufzulehnen, aber dafür dann allein da zu stehen?
Alles Fragen, auf die immer wieder Antworten gefunden werden müssen. Am Ostkreuz werden sie an Alte und Junge wunderbar sinnlich gestellt.

Theater Strahl Halle Ostkreuz. Karten direkt hier.


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3. Grips - Vom Kreuz des Erwachsenwerdens

"Bülowstraße" im GRIPS Hansaplatz © David Baltzer

Im Kiez um die Bülowstraße, einer der wenigen in Berlin, die noch nicht vollständig gentrifiziert sind, machen die drei Freunde Mila, Ysamin und Timur (Johanna Meinhardt, Berit Vander, Daniel Bohlen) gemeinsam die Nacht zum Tag. Trinken und tanzen sich durch die Clubs und landen meistens im Morgengrauen in der Kneipe Zum Würfelbecher. Wo sich auch Milas Vater (Jens Schubert) jede Nacht die Kante gibt.


Großstadt mit Fuchs


Besonders Mila, die mit der Trennung von Jerome (Jens Modalski) nicht klarkommt, will die Nacht festhalten, will die ewige Freundschaft zwischen sich und den drei anderen beschwören. Aber Timur und Yasmin verweigern sich diesem Schwur, verfolgen eigene Ziele, was bei der labilen Mila Angst, Verzweiflung, aber auch Wut auslöst. Besonders Timurs Liebe zu Jimmy (Marcel Herrnsdorf) empfindet sie als Verrat.
Dem Fuchs, der ihr immer wieder über den Weg läuft, scheint es zu gehen wie ihr, er schlägt sich durch, so gut es eben geht.


Mit „Bülowstraße“ hat das GRIPS erneut eine Großstadtgeschichte auf die Bühne gebracht, in der junge Menschen auf der Suche sind nach sich selbst und ihrem Platz im Leben.
„Bülowstraße“ heißt auch das Album von LEA, der Singer-Songwriterin, deren Songs millionenfach gestreamt werden und die auf ihren Touren Hallen füllt. Allein das wird sicher für Publikumsströme an den Hansaplatz sorgen.
Um die Lieder herum hat Juri Sternburg getextet. Im Bühnenbild, für das neben der Regisseurin (Sigrun Fritsch) Sönke Ober verantwortlich zeichnet, leben die Projektionen und Videos allerdings mehr als die szenischen Lösungen.
Klappen im mehrstufigen Podest öffnen und schließen sich. Der bereits erwähnte Fuchs kommt gleich dreifach immer wieder aus der Versenkung. Der Leitfuchs Caspar Hachfeld hat die Songs von LEA arrangiert und sorgt mit den beiden Füchsen Julia Horváth und Hui-Fang Lee-Kronenberger für den Sound.


Konkurrenz für LEA


Dass die Geschichte um Mila und ihre Freunde fesselt, spannend bleibt und das junge Publikum begeistert, liegt an den durchweg tollen Schauspielern, die sich mit Spielfreude ins Geschehen stürzen.
Und alle können dermaßen gut singen, dass eine Bülowstraßen-CD, von diesem Ensemble interpretiert, LEA vermutlich starke Konkurrenz machen würde.


Grips Hansaplatz, bis zum 31. Mai. Hier geht’s zu den Karten.

 

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