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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 517

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

14. April 2025

HEUTE: 1. Deutsches Theater – „Große Gewinne, schwere Verluste“ / 2. Der Dreier im Theater im Palais / 3. Schaubühne – „Ex“ / Extra-Tipp: Wiederaufnahme „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ im BE

1. Deutsches Theater - Disruption und Wohlfühlwimpel

"Grosse Gewinne, schwere Verluste" im Deutschen Theater Kammer © Jasmin Schuller

Schorsch Kamerun, APO-Veteran, Mitbegründer der Hamburger Spaß-Punk-Band „Die Goldenen Zitronen“ und Mitinhaber des „Golden Pudel Club“ auf St. Pauli schlägt in Berlin auf und ausgerechnet im DT. Mit „Große Gewinne, schwere Verluste“, einem „musiktheatralen Parcours für eine Welt, wie wir sie kannten“. Parcours, das wäre eine Strecke mit Hindernissen – an deren Ende es wieder so sein soll wie früher. Also besser und schöner. Denn jetzt ist Disruption, Verunsicherung, Vereinzelung, Verlust.

Fürs Musikalische hat Schorsch (der Regisseur und Texter) den Tastenkünstler und Komponisten eingängiger Liedchen namens PC Nackt mitgebracht. Sowie den flott jugendlichen Richardchor Neukölln engagiert. Fürs turbulent arrangierte Kabarettistisch-Theatralische gibt’s eine Handvoll DT-Solisten.


Wärmestube fürs Strandgut der Verlierer


Hier ihre Aufstellung: Julischka Eichel als Stefanie, einst im Geldgeschäft tätig, jetzt eine „disrupted person“, eine „Wirtschaftsverliererin, einfach so ausgewechselt“. Natali Selig als Janet hat früher „was mit Körpern und was mit Fotografie“ gemacht, jetzt hilft sie mit im Paketshop, der früher Tankstelle war (Bühne: Katja Eichbaum). Zugleich dient der Laden als Wärmestube fürs Strandgut der Figuren, die einem (vermeintlich) kuschligen Gestern nachtrauern und am kühlen Heute verzweifeln. Zu denen zählen noch zwei Kerle: Manuel Harder, ein Spaßvogel, der als James-Bond-Parodie herumgeistert, sowie Felix Goeserals robuster Altrocker mit Rochus auf die in digitalen Fluten versinkende „Selbstbeschäftigungsgesellschaft“. Kraftvoll haut er seinen Song raus von der „Streichliste Berlin, wo führste hin…“. Den Refrain kalauert der Richardchor „unsexy dünn, zero Dopamin“.

Auch die Liste des zusammengekehrten gesellschaftlichen Unmuts ist lang. Sie wird wie Konfetti verschnipselt durch die dicke Luft gewirbelt. Darin schwenkt gottseidank ein guter Engel sein Wohlfühl-Wimpelchen: Mercy Dorcas Otieno betreibt als Ayanda den therapeutischen „Connection Point“. Der ist zuständig für „Verbindungsversuche“, „Zugehörigkeitspflege“ sowie fürs Training der „Umarmungsbereitschaft“. So hat die Chose – ihr großer Gewinn? – ein Quantum Optimismus.

Deutsches Theater Kammer, 12. und 18. April; 10., 12., 18. Mai. Hier geht’s zu den Karten.


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2. Theater im Palais - Terzett mit Paul Linke, Dorothy Parker und Marlene Dietrich

"Prinzess Rosine" im Theater im Palais © Ildiko Bognar

Erstens: Lincke nebst Prinzess in der Luft

Er war stolz auf seinen perfekt gewichsten Wilhelm-Schnauzer. Aber auch sonst fühlte Paul Lincke kaisertreu und feierte Triumphe als Komponist schmissiger Parademärsche oder gefühlvoll deftiger Berliner Bierlokal-Romantik.

Der Sohn eines Behördendieners offenbarte früh schon sein musikalisches Allround-Talent, ging nach Wittenberge, um dort in der Stadtpfeiferei sein Handwerk zu lernen. Alsbald fand er Anstellungen in Orchestern diverser Berliner Unterhaltungstheater; avancierte rasch zum tollen Hecht am Dirigentenpult. Zugleich reussierte er als Operetten-Komponist. Sein Hit „Frau Luna“ (1899) gilt als Grundstein der Berliner Operette. „Die Berliner Luft, Luft, Luft“ schaffte es gar zur heimlichen Metropolen-Hymne.

Schade nur, dass „Prinzess Rosine“, seine „Große Operette mit Luftballett“, sechs Jahre nach „Frau Luna“ nicht gleichziehen konnte mit dem Sensationserfolg der Mond-Dame, die von heftig erregten Berliner Burschen mit abenteuerlichen Fluggeräten heimgesucht wird. „Rosine“ verschwand in der Versenkung, obgleich auch hier Berliner Burschen, die erstaunlicherweise den freilich ehrenwerten Beruf des Rohrlegers ausüben, sich auf die Socken machen ins Außerterrestrische zu besagter Jung-Aristokratin, die (Luftballett!) gesichert an diversen Drähten einst kunstvoll durch die Wolken schwebte über eine Art Schlaraffenland. Das gibt Gelegenheiten für große Ausstattung. Doch leider, die so lüsternen wie verfressenen Kerle quälen sich allzu albern durch die Handlung.

Nun hat die rührige Kleinbühne am Kastanienwäldchen das Ding ausgegraben, freilich ohne Luft, Drähte, Orchester und Corps de Ballet. Dafür personalgünstig mit einem Musiker und nur zwei Darstellern für die zwei Dutzend Rollen. Stefanie Dietrich und Meik van Severen trällern ganz entzückend die Linckeschen Ohrwürmer, begleitet vom musikalischen Leiter Markus Zugehör auf den Tasten (alternierend: Insa Bernds). Ansonsten blödelt das von Stephan Bolz aufwändig, für die rasenden Verwandlungen zugleich praktikabel kostümierte Duo, was das Zeug hält übers Brettl. Denn Regisseur Fabian Gerhardt versucht erst gar nicht, uns die luftige Geschichte näher zu bringen. Sondern lässt die Leine los für atemlos absurdes Ping-Pong.

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Zweitens: Doro, die Skandaldame vom Broadway

Einer solch zwielichtigen Bezeichnung würde Dorothy Parker, die weltberühmte und einzige Theaterkrtikerin New Yorks, sehr wohl zustimmen. Doch ist sie seit 1967 tot. Miriam Kohler hat die legendäre Bohémienne der 1920er Jahre jetzt mit fein komödiantischer und sängerischer Begabung wiederbelebt.

Die mannstolle, partygeile, alkoholsüchtige und mit fast allen Berühmtheiten ihrer Ära mehr oder weniger intime Dame war – nicht ohne Selbstironie – ein unentwegt Bonmots ausschüttender rhetorischer Wasserfall: „Reden, reden, aber bitte bösartig.“ Inwieweit ihre Urteile stichhaltig sind, lässt der so quirlige wie kurze Abend offen. Dafür erfahren wir ihre beiden Lieblingswörter: „Scheck“ und „beiliegend“.

So liefert der beschwipste Abend einen Cocktail kleiner Spielszenen aus dem skandalumwitterten Dasein der scharfsinnigen Tochter deutsch-schottisch-jüdischer Einwanderer. Etwa ihr einsamer 30. Geburtstag anno 1923 („allein Walzer“); oder das Martini-Mixen (Gin!!!) oder die verzweifelte Suche des beim Erotissimo im Taxi verlorenen Filmskripts „Der große Gatsby“ von F. Scott Fitzgerald).

Alles süffige Unterhaltung mit Klavierbegleitung (Peter-Philipp Röhm). Alice Asper hat sie szenisch arrangiert und für das Script die Gedichtsammlung der Parker (übersetzt von Frank-Petrick Steckel) geplündert und noch dazu Michaela Karls Parker-Biografie. Sie erschien mit dem in jeder Hinsicht passenden Titel „Noch ein Martini und ich lieg unterm Gastgeber“. Prost!

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Drittens: Marlenes Mythen

Und zum dritten: Wieder szenisch-musikalisch ein Mäandern – diesmal durchs Leben von Marlene Dietrich. Titel: „Eine Schöpfungsgeschichte“. Der annonciert den Schwerpunkt des von Paul Kaiser geschickt gebauten und spitz formulierten 70 Minuten kurzen (aber kurzweiligen) Stücks: Nämlich das Nachspüren der Entstehung der Mythen, die den Weltstar umwehen.

Die großartige Alina Lieske kann tanzen, singen, spielen (am Pianoforte: Jürgen Beyer). Sie packt uns und überzeugt als raue Diseuse, sarkastische Lebenskennerin und politisch Hellsichtige. Bravo!

Theater im Palais, „Rosine“  am 24., 27. April, 2. Mai; „Parker“ am 30. April; „Dietrich“ am 18. April. Hier geht's zu den Karten.


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3. Schaubühne - Dreier in der Schlacht auf der Couch

"Ex" in der Schaubühne © Gianmarco Bresadola

Wieder ein Tag rum. Acht Stunden in der Klinik, Sibylle ist Ärztin, die zwei Kinder im Bett, jetzt endlich auf dem Sofa, tief Durchatmen, das ibook schnappen und in Ruhe Dokus gucken.

Doch da kommt, ach Gottchen, der Ehemann. Daniel, Architekt, baut Parkhäuser. Flüchtiges Küsschen, stört nicht weiter. Essen is nich, doch im Kühlschrank dämmert noch eine Lasagne. Übriggeblieben. Aufwärmen. Gibt’s Bechamelsoße? Nee! Er mampft mürrisch, sie hängt am Display. Zwischendurch Motzereien, Gereiztheit, Alltagskram. Alles nervt. Man stört sich gegenseitig, geht sich auf den Keks. Feierabend zu Hause bei Akademikers.

Soweit die angespannte Eröffnung in
Marius von Mayenburgs Konversationsstück „Ex“. Ziemlich vielsagend; eigentlich schon alles sagend. Denn schnell wird klar: das passiv Aggressive steigert sich im Handumdrehen bis ins Handgreifliche. Befeuert vom Crescendo verbalen Lärms auf dem Sofa-Schlachtfeld eines verrosteten mittelständischen Familienbetriebs. Pointengewitter, das Gift gegenseitiger Erniedrigungen, der Frust über ätzende Lebensroutine, ungelebte Lebensvorstellungen, unbewältigte Lebenskrisen. Alles irgendwie spießig, alles bekannt und nachvollziehbar. Ehehölle. Autopsie einer Paarbeziehung.


Volltourig rasende Redemaschinen


Aber so, als hätte der satt sarkastisch schreibende Autor gleich alles ins verbale Hauen und Stechen hineingepackt, was gerade auf dem Markt ist an entsprechend soziologischen Studien und (auch politischen) Diskursen. Die Figuren wie volltourig rasende Redemaschinen. Mal Luft holen und Runterkommen, wäre zu raten. Doch das gönnt Mayenburg als Autor und Regisseur den beiden nicht. Und so schlagen sich, auch im Wortsinn, Marie Burchard und Sebastian Schwarz tapfer und mit all ihrem großen schauspielerischen Können über die Runden. Beeindruckend, die agile Furie, der bärige Taps. Aber letztlich nicht recht abendfüllend.

Da hilft auch nicht sonderlich das Hereinplatzen von Franziska (Eva Meckbach), der Ex von Daniel, der sie einst verließ, um standesgemäß die Ärztin zu ehelichen. Franzi ist nämlich „bloß“ Verkäuferin im Tierhandel; jetzt ausgebüxt von ihrem Liebhaber, der sie anekelt wegen unzumutbarer Sexpraktiken.

Aus der Zweier-Schlacht wird, mit der Zoo-Frau als Brandbeschleuniger, ein bitterböser Dreier mit Eifersuchtsfuror und allseitig ordentlicher Erniedrigung, bei dem obendrein gestrige Frauenbilder blitzen und klassistische Ansagen krachen (bürgerlicher Wohlstandsdünkel kontra Prekariat). Korrekt gesellschaftskritisch, aber angestrengt konstruiert.

Kein Vergleich mit Mayenburgs so raffiniert wie subtil gebautem, einem Thriller gleichenden, brandaktuellen Redestück über Macht und Missbrauch „
Ellen Babic“ am Berliner Ensemble (mehr dazu im Blog Nr. 476 vom 8. April 2024). – Also eins zu null für das BE.

Schaubühne, 29. und 31. Mai. Hier geht’s zu den Karten.


Und noch ein Extra Tipp: Wiederaufnahme im Berliner Ensemble: „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ nach Erich Kästner, Regie Frank Castorf mit Andreas Döhler und Marc Hosemann in den Hauptrollen (mehr dazu im Blog Nr. 362 vom 28. Juni 2021).

Berliner Ensemble, 17. und 18. Mai. Karten direkt hier.

Hinweis für Castorf-Fans: Am 1. Juni läuft im BE wieder einmal "Kleiner Mann, was nun?" von Fallada, Regie Castorf.

 

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