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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 491

Kulturvolk Blog | Uwe Sauerwein

von Uwe Sauerwein

30. September 2024

Heute: 1. KOMISCHE OPER IM FLUGHAFEN TEMPELHOF – "MESSIAS“ / 2. BERLINER ENSEMBLE – "KLEINER MANN – WAS NUN?"/ 3. KOMÖDIE IM ERNST-REUTER-SAAL – „MEISTERKLASSE“

1. Komische Oper - Wenn der Tod an die Tür klopft

"Messias" in der Komischen Oper im Flughafen Tempelhof © Jan Windszus

Eine Frau, in der Blüte ihres Lebens, erhält die Diagnose: Gehirntumor. Sechs Monate sollen ihr noch bleiben. Ein dramatisch kurzer Zeitraum, in dem die Patientin zudem ihre körperliche Autonomie zu verlieren droht. Sie will über den Rest ihres Daseins selbst bestimmen. Dazu gehört ein würdevolles Sterben.

Geht es darum in Georg Friedrich Händels „Messias“? Natürlich nicht. Das Oratorium berichtet von der Geburt Christi, von Wundertaten, Passion, Tod und Auferstehung. Am Ende erklingt die Hoffnung auf Erlösung für die gesamte Menschheit, mit einem „Halleluja“, das zu den berühmtesten Chören der Musikgeschichte zählt.

Die Komische Oper Berlin löst diesen 1742 in Dublin uraufgeführten Klassiker aus seinem christlichen Kontext. Es ist eine sehr menschliche Geschichte über Leben und Sterben, die wir im Hangar im früheren Flughafen Tempelhof erzählt bekommen. An dem Ort, wo der Komischen Oper letztes Jahr mit Henzes „Floß der Medusa“ ein wirkungsmächtiger Saisonauftakt gelang. (mehr dazu im Blog Nr. 450 vom 26. September 2023). Das Stammhaus an der Behrenstraße kann ja bis auf weiteres nicht genutzt werden. Die Baumaßnahmen hält mancher Politiker plötzlich nicht für finanzierbar. Zweifel, Ängste, Hoffnung, das alles begleitet die Opernmenschen auch ganz profan.


Klänge des Trostes aus vielen Kehlen


Zurück zu Händel. Anregung für Damiano Michielettos Regie-Konzept waren die Schlagzeilen der 29-jährigen Amerikanerin Brittany Maynard, die 2014 für aktive Sterbehilfe kämpfte. Eine Schauspielerin, Anouk Elias, verkörpert die Frau, an deren Tür der Tod klopft. Die vier Gesangssolisten werden zu Personen im Umfeld der Kranken. Der Tenor (Julien Behr) spielt den Ehemann, Alt (Rachael Wilson) und Bass (Tijl Faveyts) die Eltern; Sopran Julia Grüter tritt im weißen Kittel auf.

Die sechzig mal zwanzig Meter messende Spielfläche (Bühne: Paolo Fantin) erfordert Bewegung. Die Koloraturen leiden kaum unter dem körperlichen Kraftakt. Meist in Aktion, abseits aller Notenblätter, ist auch der Chor unter Leitung von David Cavelius, aufgestockt mit mehreren Hundert Sängerinnen und Sängern aus anderen Berliner Chören, Profis und Laien. Händels Musik strahlt unverdrossen, nicht zuletzt dank George Petrous’ alles umfassendem Dirigat. Man hört vornehmlich Klänge des Trostes, die Qualen sieht man nur.

Für den Komponisten war die Arbeit am „Messiah“ in seinem Londoner Wohnhaus selber eine Art Auferstehung. Wie sich der Meister nach einem Schlaganfall mit der Vertonung des auf Bibelversen basierenden Librettos von Charles Jennens zurück kämpfte, beschreibt Stefan Zweig in seinen „Sternstunden der Menschheit“. Ob Fiktion oder nicht, diese Schilderungen passen zum Grundgedanken des Tempelhofer „Messias“. Man würde es sogar verstehen, wenn die Regie weniger plakativ vorgehen würde. Es wirkt beinahe trivial, wenn die Patientin zur Computertomographie in die Röhre geschoben wird.


Kampf für selbst bestimmtes Sterben


Besser geht das Konzept auf, als die Frau zu Worten des gepeinigten Christus sich von einer riesigen LED-Ellipse eingeschlossen sieht. Ein Gefühl des Ausgeschlossenseins, das schwer Erkrankte erfahren, selbst wenn ihnen alle Liebe und Hilfe entgegengebracht wird. Unterstützung erhält sie von der Familie im Kampf um ihr Recht auf selbst bestimmtes Sterben, gegen den mächtigen, mit Demo-Schildern bewaffneten Chor. Das hinterlässt szenisch Eindruck, wie auch das Ende, nachdem die Frau friedlich entschlafen und aus einem Lorbeerstrauch ein paradiesischer Garten gewachsen ist.

Unser Kontingent ist leider ausgeschöpft; Restkarten für die letzten Vorstellungen gibt es noch direkt bei der Komischen Oper.


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2. Berliner Ensemble - Kleiner Mann im Drogenrausch

"Kleiner Mann – Was nun?" im Berliner Ensemble © Just Loomis

0.20 Uhr! Zwanzig Minuten nach Mitternacht beginnt der Premierenapplaus. Dabei war die Vorstellung im Berliner Ensemble ja schon um 19 Uhr gestartet. Wer sich in die Hände von Frank Castorf begibt, weiß, dass er sich auf einen Marathon einlässt. Wobei die meisten Marathonläufer früher ihr Ziel erreichen.

Nun hat sich der Regisseur mit Hans Fallada beschäftigt. „Kleiner Mann – was nun?“, 1932 während der Weltwirtschaftskrise veröffentlicht. Das Schicksal des Johannes Pinneberg und seiner Frau, genannt Lämmchen, in deren Bauch das gemeinsame Kind, das Murkelchen wächst, die Entbehrungen und Entwürdigung ertragen, ist auch Stoff für Film und Theater. Wie in Luk Percevals Inszenierung der Münchner Kammerspiele, gesehen beim Theatertreffen 2010, mit einem Musikautomaten und Projektionen des Films „Berlin: Die Sinfonie der Großstadt“ als flimmernde Kulisse.

Das einzige, was sich bei Castorf damit vergleichen lässt, ist Aleksandar Denics überraschend kahle Bühne. Umso extravaganter, überhaupt nicht proletarisch, die Kostüme von Adriana Braga Peretzki. Das BE hat die Unterbühne als Spielfläche entdeckt, wie ja auch die Hauptfiguren ganz unten angelangt sind. Gekonnt wird das per Live-Kamera nach oben übertragen. Im Keller lagern Räder, die angeblich von T-34-Panzern stammen, die Helene Weigel weiland den Sowjets abgekauft habe. Jetzt stehen sie für die Mühle, in die der kleine Mann geraten ist.


Zutaten aus vielen Quellen


Doch wer ist hier Pinneberg, wer Fallada, der eigentlich Rudolf Ditzen hieß? Und wer ist Castorf? „Ich will euch ja nicht auf den Sack gehen“, lässt er Andreas Döhler, seinen Schauspieler seit Volksbühnenzeiten, sagen. „Aber nach so vielen Inszenierungen bin ich mit mir im Reinen.“ Selbstironie ist nicht ausgeschlossen, auch bei einer so traurigen Biografie wie der Falladas, den Alkohol und sonstige Drogen zerstörten. So spielen in Castorfs Textfassung unter anderem Passagen aus „Der Trinker“ und die frühe Erzählung „Die Kuh, der Schuh, dann du“ eine Rolle.

Alle scheinen hier im Rausch. Aus dem Roman der Neuen Sachlichkeit wird Trash. Meistens überdreht, laut, schrill, brutal. Es gibt verdammt starke Szenen. Wie in der Dusche, wo die umwerfende Artemis Chalkidou als Mutter Mia und Andreas Döhler als ihr Lover Jachmann sich einen Schuss setzen, bevor der Sohn der nassen, nackten, zugedröhnten Mutter die künftige Schwiegertochter vorstellt, ein wahrlich ungünstiger Moment.

Oder die Szene, in der Pinneberg, diesmal verkörpert von Gabriel Schneider, als Klamottenverkäufer Quote machen muss und dabei auf die Avancen einer Schauspielerin hereinfällt. Darstellerische Glanztaten, auch deshalb so eindringlich, weil die Kameras das Minenspiel in Großaufnahme übertragen.


Aus roten Kämpfern werden Nazis


Fallada gilt als Dichter der kleinen Leute. Für die entwickelt man hier nicht wirklich Sympathie. Das mag an den Rollenwechseln liegen. Oder daran, dass es oft dieselben Menschen sind, die später zu Nazis wurden. Aus Rot wächst Braun, oder aktueller: Der DDR-Nostalgie entspringen völkische Ideen, so die Gedankengänge des Abends. Und das dicke Ende schildern Auszüge aus Heiner Müllers „Die Schlacht“. Szenen aus den letzten Kriegstagen, im Bunker, der Unterbühne also.

Was in anderen Theatern dem Programmheft vorbehalten bleibt, wird bei Castorf gespielt. Und das hinterlässt Eindruck. Der Hintern tut weh, aber das Herz ist froh.

Im Moment sind alle Vorstellungen ausverkauft. Weitere Termine werden wir auf unserer Website veröffentlichen.


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3. Komödie - Die Diva als Dozentin

"Meisterklasse" in der Komödie im Ernst Reuter Saal © Michael Petersohn

Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose. Frei nach Gertrude Stein muss man in diesem Fall sagen: Eine Diva ist eine Diva ist eine Diva. Die Rede ist von Maria Callas. Die Göttliche, der Opernfans in aller Welt zu Füßen lagen. Eine Diva auf der Bühne, privat und im Unterrichtssaal. Denn als ihr Sopran ihren eigenen Ansprüchen nicht mehr genügte, beendete die für ihre Launen berüchtigte Künstlerin ihre Karriere. Ihr Können und ihre Erfahrungen versuchte sie fortan an der Juilliard School an junge Sängerinnen und Sänger weiterzugeben.

An der New Yorker Schule dozierte in den 1970er Jahren auch der bedeutende Dramatiker Terrence McNally. Als Bewunderer der Callas besuchte er einige Male ihre Klassen, denn sie waren öffentlich. Inspiration für sein erfolgreiches Stück „Meisterklasse“ von 1995, das die Komödie am Kurfürstendamm nun in einer ihrer Ausweichspielstätten, dem Ernst-Reuter-Saal in Reinickendorf, präsentiert.

Ein Bühnenbild ist nicht nötig. Es könnte auch ein Liederabend anstehen, links auf dem Podium ein Flügel, rechts ein hoher Hocker mit Notenständer. Dann tritt die Dozentin ein, durch die Tür im Zuschauerraum. Dunkle Sonnenbrille, Pelz-Stola, Designer-Handtasche. Auch wir sind Teil ihrer Klasse. „Klatschen Sie nicht, wir sind hier um zu arbeiten.“


Als Sängerin so gnadenlos wie als Lehrerin


Katja Weizenböck
gibt die Callas authentisch mit dunkler Perücke und reichlich rollendem „r“, wie es die Opernsprache Italienisch und die griechische Muttersprache erfordern. Man ahnt sofort, dass es die Studierenden nicht leicht haben werden. „Das erste Opfer, wo ist sie?“ Als erstes kriegt ein Er ihre Allüren ab. Emmanuel, der Pianobegleiter (Nikolai Orloff), bewältigt die Lage noch relativ souverän. Anders die Schülerin. Sophia, Typ Trampel, pummelig, in pinkem Paillettenpulli und türkisem Glitzerröckchen. Ob Rocia Reyes die Arien aus „Norma“ beherrscht, kann nicht überprüft werden. Schon nach dem ersten Gesangston wird sie unterbrochen.

Die Callas ist auch als Lehrerin gnadenlos fordernd. Nicht jeder hält das aus. Auch nicht der Tenor Anthony (Lawrence Halksworth), der als Cavaradossi aus „Tosca“ keinen Gefallen findet, aber zumindest vom Flirtfaktor her das Innere der Dozentin rührt. Komödiantischer Höhepunkt des Unterrichts ist Sharon (Lisa Ziehm), im ausufernden Abendkleid, die von der Callas zu immer dramatischeren Ausbrüchen der Lady Macbeth durch den ganzen Saal getrieben wird.


Die Tragik einer verletzlichen Ikone


Man fragt sich, was die recht talentfreien Vokalisten in der Realität an der renommierten „Juilliard“ zu suchen hätten. Und umgekehrt dürfte eine Dozentin wie Callas heutzutage ihren Job verlieren. Ausgerechnet sie ist es, die in Harald Weilers flotter Inszenierung nicht singt. Katja Weizenböck zeigt mit genialer Mimik, wie es aussehen könnte, wenn sie singen würde.

Vieles wirkt wie Parodie. Doch man bekommt auch Ratschläge fürs Leben, welche Ziele man sich setzen sollte und mit welcher Strategie man sie bewältigt. Was der großen Dame des Belcanto, die 1977 verstarb, in ihrem privaten Leben nicht gelang. So vermittelt Katja Weizenböck die persönliche Tragik der verletzlichen Ikone, die harte Kindheit, vor allem die unglückselige Liebe zu „Ari“, dem rücksichtslosen Reederei-Millionär Aristoteles Onassis.

Zum stürmischen Premierenbeifall gibt es rote Rosen. Nicht für die Diva, sondern für die großartige Darstellerin Weizenböck.

Komödie im Ernst-Reuter-Saal, bis 29. November. Hier geht’s zu den Karten.

 

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