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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 488

Kulturvolk Blog | Uwe Sauerwein

von Uwe Sauerwein

9. September 2024

Heute: 1. WINTERGARTEN – "A TRIBUTE TO JOSEPHINE“ / 2. DEUTSCHES THEATER – "BÖHM"/ 3. KLEINES THEATER – "BESUCH BEI MR. GREEN“

1. Wintergarten - Artistische Regenbogenkinder

"Josephine - The Queen of Entertainment" im wintergarten Varieté © Wintergarten

„Es wird kein Strich gezogen, in Gottes großem Reich. Und unterm Regenbogen sind alle Kinder gleich“, singt Nicolle Rochelle. Den Text zu „Die Regenbogenkinder“ schrieb Josephine Baker. Das Liedchen spielt auf die Familie an, die sich die Diva adoptierte. Als die Künstlerin 1947 in der Dordogne ein Schloss erwarb und dort mit zwölf Kindern aus unterschiedlichen Kulturkreisen lebte.

Josephine Baker (1906-1975) war nicht nur ein aufregender Bühnenstar, sondern eine Aktivistin für eine bessere Welt. Der Wintergarten macht nun eine große Verbeugung vor dieser selbstbewussten Frau. „A Tribute to Josephine“ war den Beteiligten eine Herzensangelegenheit. Das spürt man. Der Balanceakt zwischen Unterhaltung und der Vermittlung von Werten, wie sie Josephine Baker vertreten hat, ist überwiegend gelungen.

Wenige Hundert Meter weiter, am Kulturforum, war im Frühjahr eine Ausstellung über „La Baker“ zu sehen (mehr dazu im Blog Nr. 470 vom 26.Februar 2024). Es hätte gepasst, wenn die Wintergarten-Show zeitlich parallel dazu gelaufen wäre. Nun erlebt man live auf der Bühne eine Regenbogenfamilie: Sängerinnen, Tänzerinnen, Artistinnen und Artisten aus aller Herren (oder Damen) Länder. Meist hervorragende Nummern, die für sich stehen, aber man spürt den Teamgeist.


Entertainerin, Unternehmerin, Menschenrechtlerin


Mit ihren Shows und Filmen hat die Amerikanerin in Paris einen neuen Stil erfunden, Tabus gebrochen, neue Maßstäbe gesetzt. Generationen von Pop-Größen ließen sich von ihrem Outfit und Auftreten anregen. Entertainment pur ist es aber nicht, was die Baker verkörpert. Sie war Unternehmerin, Widerstandskämpferin, Menschenrechtlerin, kämpfte gegen Rassendiskriminierung und für weibliche Selbstbestimmung, gerade durch übertriebene Dschungeltänze und provokante Erotik.

Wirklich frivol wird es im Wintergarten selten, dazu gibt sich die stimmlich bezirzende Nicolle Rochelle (die mit Alice Francis alterniert) zu zugeknöpft. Rachel Dowse, äußerlich an Marilyn Monroe erinnernd, fängt das mit einer Burlesque-Einlage ein wenig auf. Mit dem Mythos des Wilden, ja Animalischen spielt die aus Trinidad stammende Tänzerin Kristall Walcott. Was die Baker auszeichnete, wird also auf mehrere Schultern verteilt.

Rodrigo Funke, selbst erfahrener und preisgekrönter Trapezkünstler, hat alles in Szene gesetzt. Opulente Kostüme (Susanne Burkhardt), unter anderem mit Unmengen von Pfauenfedern, Kulissen und Videos; auch die wechselnden Musikstile deuten die Stationen der Baker an. Von Ragtime und Swing bis Reggae, Calypso und Disco-Sound erleben wir den Werdegang des in furchtbarer Armut aufgewachsenen Südstaatenmädchens, das in Paris für Furore sorgte und in Berlin als „Schwarze Venus“ eine Sensation – und Ärgernis für rechte Zeitgenossen – wurde.

 

Eine großartige kleine Band begleitet nicht nur die Songs, sondern auch halsbrecherische Darbietungen. Bei der Rollschuh-Akrobatik des australischen Duos Resplendence hält man ebenso die Luft an wie bei den Abenteuern von Leosvel & Pedro am Chinesischen Mast.

Den nachhaltigsten Eindruck hinterlassen wohl nicht nur bei mir Konjowochu, drei junge Frauen aus Äthiopien. Nicht nur, weil ihre menschliche Pyramide eine artistisch sensationelle Performance mittels Hand- und Zahnstand ist, sondern weil die Höchstleitung gar nicht draufgängerisch, ja fast zärtlich leise präsentiert wird. Wunderbar!

Wintergarten Varieté, bis 23. Februar 2025. Hier geht’s zu den Karten.

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2. Deutsches Theater - Ein Denkmal fällt vom Sockel

"Böhm" im Deutschen Theater © Thomas Aurin

„Ausgerechnet Berlin?“ fragt der alte Mann im Rollstuhl und schaut skeptisch ins Publikum. Ja, Berlin. Zum Glück. Was für ein Triumph! Und zugleich Ironie der Theater-Geschichte: In dem Haus, das in seiner Historie so ziemlich alle großen deutschsprachigen Mimen erlebte, sorgte ausgerechnet ein Puppenspieler für den größten Erfolg in der ersten Saison unter der Leitung von Iris Laufenberg.

Die Intendantin des Deutschen Theaters hat ihre Erfolgsproduktion „Böhm“ von ihrer früheren Wirkungsstätte in Graz mitgebracht. Nach der umjubelten Premiere im Juni ist das Stück des Wiener Schriftstellers Paulus Hochgatterer über den in Graz geborenen und dort auch verstorbenen Dirigenten Karl Böhm erfreulicher Weise in der neuen Spielzeit erneut zu sehen.

Doch was heißt hier Puppenspiel? Was Nikolaus Habjan in seinem Solo in Personalunion als Puppenspieler, Puppenbauer, Darsteller und Regisseur auf die Bühne zaubert, ist genial. Auch dem Mann, um den sich der Abend dreht, kann man den Genius nicht absprechen. Karl Böhm (1894-1981) zählt zweifellos zu den wichtigsten Dirigenten des 20. Jahrhunderts. Doch wie sieht es aus mit dem Menschen Karl Böhm?


Führer befiehl, wir musizieren


Nirgendwo in der Kultur galt das Führerprinzip so ausdauernd lange wie bei den Dirigenten. Doch selbst dieses Berufsbild ist im Wandel begriffen, es gibt Aufbegehren und MeToo-Debatten, Teamplayer setzen sich mehr und mehr durch – und Dirigentinnen. Zu Böhms Zeiten galten noch die alten Männer-Hierarchien. Der Dirigent im Licht, die im Dunkeln, im Orchestergraben, sieht man nicht. Wie aber standen Dirigenten im finstersten Kapitel deutscher Geschichte zum Führer?

„Ich erinnere mich ganz genau“, übertitelte Böhm seine Lebenserinnerungen – und hat es wohl nicht so genau genommen. Böhm war nie Parteimitglied, aber früh dabei, unter anderem im Kampfbund für Deutsche Kultur. Musikalische Karriere machte er schon vor Hitlers Machtergreifung. Trotzdem verdankt er seine Laufbahn auch seinem Opportunismus, etwa als er auf Wunsch von ganz oben Anfang 1934 den vertriebenen Fritz Busch an der Semperoper in Dresden ersetzte.

Man erfährt nicht wirklich, wer die lebensgroße Puppe sein soll, der betagte Herr mit dem faltigem Hals, der riesigen Brille und der roten Strickjacke, der zwischen unzähligen Uhren und Schallplatten den Rest seines Lebens fristet. Besuch bekommt er nur von zwei Menschen mit Migrationshintergrund. Dem Altenpfleger, gespielt von Habjan in Person, und der kleinen Schwester des Pflegers, ebenfalls eine verblüffend lebensecht wirkende Puppe, die dem Alten ihre Welt zu erklären versucht. Wenigstens ein Stückchen kommen sich beide Generationen dabei näher.


Das Parkett wird zum Orchestergraben


Ansonsten lebt der alte Mann in der Musik. Wir hören gemeinsam Schubert, die große C-Dur-Sinfonie, und wähnen uns alsbald in einer Orchesterprobe. Oben dirigiert der selbstherrliche und detailverliebte Maestro, und irgendwann wechselt die Szenerie, erleben wir Böhm, den noch jungen Gottbegnadeten, bei Auftritten im Dienst der Propaganda vor mit Hakenkreuzfahnen geschmückten Auditorien. Nikolaus Habjan schlüpft auch noch in die Rolle des Konzertmeisters Wolfgang Schneiderhan, dessen Stern unter den Nazis aufging. Böhms Karriere wurde nach 1945 nur kurzzeitig ausgebremst. Weltweit war er ein Star am Pult, zur Trennung von der Staatsoper kam es vor allem deshalb, weil er wegen seiner vielen Gastspiele zu selten in Wien weilte.

Was ist Böhms konkreter Lebensweg, was Erinnerung eines Greises? Das bleibt in diesem virtuosen Solo offen. Am Ende streicht der alte Mann über die Büste seines Idols. Sie fällt vom Sockel und geht krachend zu Bruch.

Deutsches Theater, 6. Oktober, 6. und 7. November und 21. und 22. Dezember. Hier geht’s zu den Karten.

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3. Kleines Theater - Wie man das Leben aufräumt

"Besuch bei Mr. Green" im Kleinen Theater © Joern Hartmann

Dass grantelnde Greise über Unterhaltungswert verfügen, wissen auch amerikanische Autoren. Bei Mr. Green, der im obersten Stock eines New Yorker Wohnhauses lebt, klopft es eines Abends an der Tür, die Klingel ist schon lange kaputt. Ein junger Mann tritt ein, stellt sich als Ross vor. Das Gericht hat ihn dazu verdonnert, einmal wöchentlich bei dem 86-Jährigen vorbei zu schauen.

Natürlich will der alte Eigenbrötler keine Hilfe. Die Begeisterung über den Besuch senkt sich auf den Nullpunkt, als Green den Grund für die Sozialstunden erfährt. Ross war nämlich in einen Verkehrsunfall verwickelt, bei dem er Mr. Green beinahe umgefahren hätte. „Sie wollten mich umbringen!“

„Besuch bei Mr. Green“ ist eine fast unschlagbare Tragikomödie, mit der Jeff Baron 1996 aus dem Stand einen Welterfolg hinlegte. Vor mehr als zehn Jahren habe ich Michael Degen am Schlosspark Theater als kauzigen Alten erlebt. Nun macht das Zweipersonen-Stück im Kleinen Theater am Südwestkorso Station, mit Friedhelm Ptok als Mr. Green und Peter Volksdorf als Besucher. Die Schauspieler spielten das Stück schon mal vor Jahren am Zimmertheater in Heidelberg, in Berlin haben sie es in weiteren drei Wochen Proben ohne Regie neu entwickelt.


Kampf gegen Vorurteile


Mr. Green lebt alleine, seit seine Frau, seine Yetta, von dieser Welt gegangen ist. 50 Jahre waren sie verheiratet und es habe kein einziges Mal Streit gegeben. Man ahnt, dass die Behauptung nicht ganz koscher ist. Koscher ist zumindest die leckere Suppe, die Ross dem misstrauischen Alten aus dem Deli mitbringt. Gutes Essen sollte man nicht vergeuden, und so langsam beginnt das Eis zwischen Alt und Jung zu schmelzen.

Ross darf endlich die heruntergekommene Wohnung mit den Stapeln aus alten Zeitungen und ungeöffneten Briefen in Ordnung bringen. Nachdem klar ist, dass auch Ross aus einer jüdischen Familie stammt, entwickelt sich fast so etwas wie Freundschaft. Bis, ja bis Green wissen will, warum Ross eigentlich nicht verheiratet ist…

Mögen die Vorurteile des Strenggläubigen gegen „feygele“  so das jiddische Spottwort für Schwule  zeitlos sein, merkt man doch, dass Barons Stück in die Jahre gekommen ist. Zumindest läuft von diesem Moment an Peter Volksdorf zu großer Form auf, als der beruflich erfolgreiche Sohn, der wegen seiner Homosexualität nicht akzeptiert wird. Und in Mr. Green seine verständnislosen Eltern sieht.

Auch bei Mr. Green gibt es nicht nur in der Wohnung, sondern auch im Leben einiges aufzuräumen. Dunkle Geheimnisse, die der phänomenale Friedhelm Ptok ohne Brimborium, aber umso berührender ans Licht kommen lässt. Der frühere Staatsbühnen-Schauspieler, 91 Jahre jung, beeindruckt mit seiner Souveränität. Nur sollte er berücksichtigen, dass der alte Mann, den er verkörpert, nicht ganz so fit ist wie er. Die Leichtigkeit, mit der Ptok manchmal aus dem Sessel hochfährt, lässt sogar mich neidisch werden.

Kleines Theater, 13., 14.. 21. und 22. September und 19. Oktober. Hier geht’s zu den Karten.

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Glückwunsch und Tipp: Weronika Frodyma und das Staatsballett
Für seine erste Produktion als Intendant des Staatsballetts Berlin betraute Christian Spuck eine Frau aus der zweiten Reihe mit der Titelrolle. Die in Polen geborene Weronika Frodyma hinterließ in „Bovary“ solch großen Eindruck, dass die Kritikerinnen und Kritiker im Jahrbuch 2024 der Zeitschrift „tanz“ sie zur Tänzerin des Jahres kürten. Chapeau! Das Staatsballett wurde in derselben Umfrage zur Saison 2023/24 gemeinsam mit dem Stuttgarter Ballett zudem zur „Kompanie des Jahres“ gewählt. Wer das Erfolgsstück bislang verpasst hat: „Bovary“ steht jetzt wieder auf dem Spielplan der Deutschen Oper (mehr dazu im Blog Nr. 458 vom 20. November 2023).

Deutsche Oper, bis 25. Dezember. Hier geht’s zu den Karten.

 

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