HEUTE: 1. Renaissance-Theater – „Tartuffe“ / 2. Schlosspark Theater – „Höchste Zeit“ / 3. Neue Nationalgalerie – „Josephine Baker. Icon in Motion“
Einen Gebrauchtwagen würde ich von diesem Mann nicht kaufen. Schon die äußere Erscheinung ist wenig einnehmend. Die fettige, schulterlange Mähne. Das Hemd über der Wampe offen bis zum Nabel. Und auch wie sich dieser Typ namens Tartuffe aufführt, ist alles andere als fromm. Er frisst, säuft und qualmt. Macht der Gattin seines Gastgebers erotische Avancen. Und lässt das Familienglück im Hause Orgon binnen kürzester Zeit zusammenbrechen.
Als rational denkender Mensch kann man kaum nachvollziehen, warum der Hausherr in Moliéres Komödienklassiker „Tartuffe“ diesen Unsympath zum Leitstern für Sitte und Anstand auserwählt. Ihn als Dauergast aufnimmt. Seine Frisur kopiert. Ihm sein Töchterchen zur Frau geben will, obwohl Mariane bereits anderweitig versprochen ist. Ihm zuliebe den aufsässigen Sohn verstößt. Ihm sogar sein gesamtes Vermögen als Erbe vermacht.
Wer am meisten in der Inszenierung von Guntbert Warns im Renaissance-Theater über die Blauäugigkeit des Betrogenen staunt, ist der Betrüger. Stefan Jürgens agiert in der Titelrolle überraschend passiv. Den Personenkult um ihn baut nicht er auf, sondern sein Opfer, mit Leidenschaft und Leidenskraft von Dirk Nocker verkörpert. Jürgens hat als Tartuffe seine besten Momente, wenn er mit einem kurzen Blick ins Parkett uns Zuschauer auf seine Seite zieht. Schaut mal, wie blöd kann man sein. Der Fernsehstar setzt wirkungsvoll die sparsame Mimik ein, die ihm früher als Comedy-Darsteller zum Erfolg verhalf.
Gemeinsam gegen den Eindringling
Was treibt den Hausherrn, der bald nicht mehr Herr im Haus ist, wirklich an? In einer Szene deutet die Regie homoerotische Motive an. Im Programmheft spricht der Regisseur und Intendant davon, dass Moliéres Heuchler für die charismatischen Figuren stehen kann, die heutzutage die Weltbühne unsicher machen. Populisten, die andere Politiker anschwärzen und sich selbst jegliches Fehlverhalten erlauben, ohne damit ihre Anhänger zu verunsichern, im Gegenteil.
Doch das temporeiche Spiel verzichtet auf den erhobenen Zeigefinger. Den französischen Fünfakter von Anno 1664 haben Guntbert Warns und Angelika Messner auf gut zwei Stunden Spieldauer gestrafft. Die Inszenierung ist eine Ko-Produktion mit den Festspielen Reichenau im Kurort in Niederösterreich. „Theater auf Sommerfrische“, lautet dort das Motto. Es soll ja zur Genesung beitragen. Und ein wenig Sommerfrische spürt man auch im Renaissance-Theater. Was nicht despektierlich gemeint ist.
Denn es ist wirklich Energie spendend, wie das Team, viele mit Ernst-Busch-Hochschul-Hintergrund, auf der ganz in Puffrot (!) gehaltenen, multifunktionalen Bühne (Ezio Toffolutti) Ränke gegen den Eindringling schmiedet. Denn bis auf Orgon und seine Mutter (Martin Schneider in einer Travestie-Rolle) haben ja alle im Haus, vor allem die vorlaute und aufgeweckte Zofe Dorine (Christin Nichols) früh das wahre Wesen Tartuffes durchschaut.
Am Ende erscheint der Dichter persönlich
So nimmt das Spiel gegen Ende fast schon schwankmäßig Fahrt auf, wenn Elmire (Ernese Fay) vor und auf ihrem im Sessel verborgenen Gatten Tartuffes Wolllust vor Augen und Ohren führt. Endlich kapiert auch Orgon, was der Betrüger im Schilde führt. Zu spät: Tartuffe erklärt sich zum Besitzer des Hauses und will die Familie hinauswerfen. Da erscheint Moliére höchst selbst und verkündet, dass der König, der „wahrheitsliebende Regent“, (der die Erstfassung seines Stückes verboten hatte) den gesuchten Betrüger verhaften lässt. Das glückliche Ende, klassische Deus-ex-Machina-Lösung, hier wird es als menschliches Kasperle-Theater gezeigt, die originellste Szene des Abends.
„Der Mensch ist doch ein böses Lebewesen“, gibt uns der Dichter noch auf den Heimweg mit. Recht hat er, leider.
Renaissance-Theater, bis 1. April. Hier geht’s zu den Karten.
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Früher Morgen in der Hochzeitssuite eines Berliner Nobelhotels. Der schönste Tag des Lebens steht an. Für die Karrierefrau bedeutet die Eheschließung das Sahnehäubchen auf ihrem perfektionierten Dasein. Drei Freundinnen, die sie vor Jahren während eines gemeinsam erlittenen Malheurs im Flughafen kennen lernte, sind zur Feier des Tages schon zum Frühstück geladen. Als Brautjungfern!
Das ungleiche Trio steht denn auch pünktlich auf der Matte. Um festzustellen, dass die Hauptperson nicht im Zimmer ist. Als die Braut dann doch eintrifft, ist sie sternhagelblau. Der Junggesellinnenabschied ist aus dem Ruder gelaufen. Neben Drinks in Massen hatte die Braut auch Sex. Aber mit wem? Mit ihrem Zukünftigen? Dass in der Suite nebenan ein Schlagerstar südafrikanischer Herkunft residiert, von dem sie auf unerklärbare Weise ein Autogramm erhielt, sorgt für zusätzliche Kopfschmerzen.
Hello again, könnte man auch sagen zu dem Stück „Höchste Zeit!“. Es beschert uns nämlich ein Wiedersehen mit den vier fulminanten Ladies, die an gleicher Stelle schon mit „Himmlische Zeiten“ mächtig Wirbel entfachten (siehe auch Kulturvolk-Blog Nr. 430 vom 6. März 2023). Auch die Nachfolgeproduktion aus der Feder von Tilmann von Blomberg, in der Regie von Katja Wolf und mit von Carsten Gerlitz arrangierten Songs ist längst ein Dauerbrenner des Tourneetheaters.
Gemeinsam ist Frau stark
Nun also dreht sich im Schlosspark Theater alles ums Heiraten. Aber wieder bleiben die Damen auf der Bühne unter sich. Nicht mal den Bräutigam bekommt man zu Gesicht. Die einzige maskuline Stimme (Viktor Neumann) des Abends gehört dem Spieglein an der Wand (Männer sind halt undurchschaubar), das diverse Ratschläge über die Tücken des menschlichen Miteinanders parat hält.
Helfen können die drei Freundinnen der Karrierefrau (Charlotte Heinke) in Partnerschaftsfragen kaum. Die Vornehme (Heike Jonca) bereitet sich aktuell auf ihren Scheidungstermin vor, sie betrachtet es als vorzeitige Haftentlassung. Die Junge (Nini Stadelmann) wurde unlängst Mutter, konnte aber den Vater des Kindes, diesen Mistkerl, bislang nicht zur Ehe überreden. Und die Hausfrau (Angelika Mann) lebt seit Jahrzehnten unter der Knute ihres dumpfsinnigen Gatten.
Doch gemeinsam ist Frau stark. Und meistert auch die abenteuerlichste Verwicklung, bis es doch noch zum Ja-Wort kommt. Für den richtigen Ton sorgen Hits aus der Zeit zwischen 1970 und 1990, mit neuen Texten, wobei sich die Darstellerinnen wieder sängerisch wie tänzerisch bravourös schlagen. Der Humor geht oft unter die Gürtellinie. So derb über Frauen dürfen sich alleine Frauen lustig machen. Dafür bringt das quirlige Quartett die richtige Portion Selbstironie mit. Den Vogel schießt wieder mal „die Lütte“, Angelika Mann, ab. Bange machen gilt nicht, auch nicht vor dem unvorteilhaftesten Kostüm. Das Publikum tobt.
„Tu, was Dir gut tut“ heißt es am Ende, mit diesem Motto kann jede(r) im Parkett leben. Wenn Sie die turbulente Revue noch sehen wollen, wird es höchste Zeit. Im März macht das Stück nochmals für einige Abende Station in Steglitz
Schlosspark Theater, 12. bis 17. März. Hier geht’s zu den Karten.
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Sie kam, tanzte und siegte. „So müssen die Tänzerinnen Salomos und Tut-ench-Amuns getanzt haben“, schwärmte Harry Graf Kessler Anfang 1926 in seinem Tagebuch über Josephine Baker. Am Silvester-Abend war die gerade 19-Jährige mit der „Revue Nègre“ im Nelson Theater am Kurfürstendamm in Erscheinung getreten. Und Berlin lag ihr zu Füßen. Kaum zehn Jahre später galt die afro-amerikanische Künstlerin in Deutschland als entartet.
„Icon in Motion“ ist der Titel einer Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie über eine mutige Frau, die sich ein Weltpublikum eroberte, allen gesellschaftlichen Vorbehalten zum Trotz. Die bis heute Tanz, Musik, Film und bildende Kunst inspiriert. Und die ihren Ruhm für Frieden, Freiheit und Gleichberechtigung einsetzte. Als Geheimagentin in der französischen Resistance, als Adoptiv-Mutter von zwölf Kindern in einer Regenbogenfamilie, als Aktivistin an der Seite von Martin Luther King in der US-Menschenrechtsbewegung.
Die Berliner Ausstellung basiert auf einer größeren Schau, die im vergangenen Jahr in der Bonner Bundeskunsthalle zu sehen war. Klaus Biesenbach, der Direktor der Neuen Nationalgalerie, hat den Schwerpunkt etwas verschoben, mit Blick auf die Pionierleistung der Baker für den Film. Auch Künstler von heute zeigen ihre Sicht auf das „Gesamtkunstwerk“ Baker. Die Ausstellungsfläche, ein einziger Raum, mag bescheiden erscheinen. Doch es gibt viel zu sehen: neben Fotos, Plakaten, Büchern, Dokumenten und Kunstwerken viele Ausschnitte aus Revuen, aus Kinofilmen sowie Interviews.
Spiel mit den Klischees
Eine Frau, die weiß, was sie will: So operettenhaft könnte man durchaus das Leben der „Schwarzen Venus“ überschreiben. 1906 in St. Louis in ärmlichste Verhältnisse hineingeboren, mit acht als Tellerwäscherin im Einsatz, mit 13 (!) erstmals verheiratet, mit 16 Mitglied einer Vaudeville-Truppe, von New York aus dann 1925 der Sprung nach Paris, das sie im Sturm eroberte, wie später ihr Publikum in vielen Ländern und im Kino. Mit grotesken Bewegungen, rollenden Augen, und vor allem fast nackt, nur mit einigen Federn oder dem legendären Bananenschurz bekleidet, begeisterte und entrüstete sie zugleich.
Ausgerechnet Bananen. Das erfüllt doch alle Klischees. Als „la Baker“ berühmt wurde, gab es in Europa noch „Völkerschauen“, Menschenzoos, in denen Ureinwohner der Kolonien vorgeführt wurden. Doch Josephine drehte den Spieß um bei ihrem Spiel mit den Grenzen des Andersseins, riss die Initiative an sich.
Als „Mittelprodukt zwischen Urwald und Wolkenkratzer“ hatte schon Graf Kessler die Revue bei Nelson bezeichnet. „Ultramodern und ultraprimitiv.“ Eine neue Mixtur aus Jazz, den Minstrel Shows, Vaudeville, der Unterhaltungskunst a la Montmartre und Pigalle, aber auch dem Kabarett der Weimarer Republik. Max Reinhardt, Direktor des Deutschen Theaters, wollte Baker sofort engagieren, Harry Graf Kessler schrieb ein Ballett für sie. Ein Plakat von 1968 aus dem Friedrichstadtpalast steht für die Wertschätzung, die man in der DDR der Antifaschistin entgegenbrachte.
Lebenslang eine Kämpferin
Warum eine Frau, die ihre Haut zur Schau stellte, bedeutsam für den Feminismus werden konnte, lässt ein grotesker Stummfilm von 1928 erahnen: Halluzinationen eines Feuerwehrmanns in den Folies Bergères, der auf der Straße und in der Metro alle Frauen nackt zu sehen glaubt. Lächerlich erscheint einzig er, die Frauen bewahren bei aller Blöße ihre Würde.
Nicht nur was Prüderie angeht, waren Paris und das Berlin der Weimarer Zeit Inseln der Freiheit. Gegen Rassentrennung auf der Bühne und im Publikum musste Josephine Baker, die 1979 starb, noch Jahre nach Kriegsende ankämpfen. Wie so vieles in ihrem Leben war auch das von Erfolg gekrönt.
Kulturforum, Neue Nationalgalerie Potsdamer Straße 50, 10785 Berlin. Bis 28. April.
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