Heute: 1. Schlosspark Theater – „Himmlische Zeiten“ / 2. Vagantenbühne – „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ / 3. GRIPS – „Kai zieht in den Krieg und kehrt mit Opa zurück“
Vor drei Wochen hatte Ihnen mein Kollege Uwe Sauerwein an dieser Stelle den Mutmacher „Himmlische Zeiten“ ans Herz gelegt. Ich bin seinem Tipp gefolgt und kann ihm nur Recht geben:
Ein äußerst vergnüglicher Abend mit tollen Schauspielerinnen, der das Altern und die damit verbundenen Hürden trotz Rollstuhl mit Schwung nimmt und nebenbei auch noch den Februarblues vertreibt.
Vier ganz unterschiedliche Frauen treffen in einer Privatklinik aufeinander: Eine Karrierefrau (Franziska Becker) unterzieht sich hier einem umfassenden chirurgischen Eingriff. Sie bekommt Besuch von ihrer langjährigen Freundin (Angelika Mann), die diesen ganzen Quatsch mit der Schönheitsschnippelei völlig überflüssig findet. Außerdem eine 40jährige Hausfrau (Laura Leyh), ganz kurz vor der Geburt ihres zweiten Kindes und die vornehme Frau Hagedorn (Heike Jonca) in dem bereits erwähnten Rollstuhl und mit Kopfverletzung aufgrund eines fehlgeschossenen Golfballs.
In pointierten Dialogen (Buch: Tilmann von Blomberg), die das Publikum im gut besetzten Saal durchgängig mit Lachern quittiert, wird so ziemlich alles, was zum Thema Altwerden gehört, aufs Tapet gebracht: Verlust von Schönheit, Angst vor Krankheit, Vereinsamung, Altersarmut...
Carsten Gerlitz hat bekannte Songs genommen – von Jürgen Drews über Frank Sinatra bis zu Phil Collins ist alles dabei – und darauf witzige Texte gedichtet. Die vier Damen können alle sehr gut singen, sie schmettern, was das Zeug hält und wirbeln tanzend durchs Krankenzimmer.
Die Welt braucht Omas!
Und doch hat der Abend bei allem Klamauk immer wieder Momente, wo der Spaß Pause macht, wo aus den Lachern im Parkett nachdenkliches Schmunzeln und beifälliges Räuspern und aus dem Schlagabtausch auf der Bühne plötzlich Gespräche mit Tiefgang werden.
Die vornehme Frau Hagedorn hat nicht nur eine äußere Kopfverletzung, sondern leidet an Alzheimer und sitzt allein in einer riesigen Villa, Doris weiß nicht, wovon sie die Dachreparatur ihres Hauses bezahlen soll, die Karrierefrau hat, wenn sie ehrlich ist, überhaupt keine Lust mehr auf den ewigen Konkurrenzkampf mit den Männern. Und die Hausfrau wartet vergeblich darauf, dass ihr Mann sie mit dem Kind aus der Klinik abholt.
Im ersten Teil fragt man sich, was es mit dem Titel Himmlische Zeiten auf sich hat. Das klärt sich nach der Pause, wenn sich Angelika Mann als Doris – zwischenzeitlich an einem plötzlichen Herzstillstand verschieden – im weißen Krankenhauskittel und mit dem berühmten Namensschild am rechten großen Zeh für die anderen drei unsichtbar ins Geschehen einmischt. Und so finden sich am Ende wunderbare Lösungen für alle Probleme. Gemeinsam werden Frauen mit eben allem fertig, nicht nur mit dem Älterwerden.
Schlosspark Theater, nur noch diese Woche, am 9., 10., 11. und 12. März! Hier geht’s zu den Karten.
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Eine junge Frau lernt auf einer Party einen jungen Mann kennen, verliebt sich in ihn, nimmt ihn mit nach Hause. Am nächsten Morgen steht die Polizei vor ihrer Tür, die den jungen Mann bei ihr vergeblich sucht. Katharina wird zur Vernehmung abgeführt, ihre Wohnung wird durchwühlt. Tagelang sieht sie sich in der Boulevardpresse in reißerischen und bestenfalls halb-wahren Artikeln auf eine Weise an den Pranger gestellt, erniedrigt, gedemütigt, die ihr jegliche Würde nimmt. Sie erschießt den widerlichen Schreiberling.
Die Erzählung von Heinrich Böll von 1974 endet mit der Verurteilung von Katharina Blum. Für die Vagantenbühne hat Clemens Mägde eine Fassung entwickelt, die die Ereignisse Jahrzehnte später noch einmal aufgreift.
Zwei Journalisten (Daniel-František Kamen und Nils Malten) befragen Katharina (Magdalene Artelt) erneut. Und wiederum geht es nicht um sachliche Aufklärung, sondern schwingen in der Art und Weise, wie die Fragen gestellt und die Antworten kommentiert werden, Bewertung und Vorverurteilung mit.
Die beiden Schauspieler spielen nicht nur die Journalisten, sondern schlüpfen außerdem in die Rollen des damaligen Vernehmers, Hauptkommissar Beizmenne und Katharinas Arbeitgeber, des Anwalts Dr. Blorna. Veränderte Kostümdetails machen die jeweiligen Figuren schnell kenntlich. Ihr Spiel zeigt sie in allen Rollen als arrogante Machos. Darüber kann auch die väterliche Attitüde des Anwalts nicht hinwegtäuschen.
Ein brandaktueller Abend
Katharina ist in der durchgängig spannenden und präzise gearbeiteten Inszenierung von Kathrin Mayr eine Frau Mitte 50, die mit dem Abstand von dreißig Jahren zurückblickt. Magdalene Artelt gelingt es eindrucksvoll, sowohl die von den Geschehnissen und den Männern überrollte junge als auch die lebenserfahrene Frau von heute zu zeigen, deren Verletzlichkeit geblieben ist.
In einen steifen Trenchcoat gekleidet, den sie wie einen Schutzmantel um sich zusammenzieht, dann aber auch öffnet und fallenlässt, sitzt sie auf einem Stuhl und ist den bohrenden und oft unverschämten Fragen ausgeliefert. Und doch gelingt es ihr durch Blicke, durch winzige Veränderungen ihrer Körperhaltung Stärke auszustrahlen und die beiden Interviewer plötzlich hilflos und lächerlich aussehen zu lassen.
Das Bühnenbild von Kathrin Mayr und Amelie Müller ist so schlicht wie genial: Ein schwarzer Raum, in dem von der Decke Leuchtstoffröhren senkrecht nach unten hängen. In diesem Wald von mal diffus, mal farbig aufscheinenden Pendeln bewegen sich die Figuren.
Sie müssen diese Hindernisse wahrnehmen, mit ihnen zusammenstoßen, sich aber auch geschmeidig zwischen ihnen hindurchschlängeln. Sie können sie auch selbst bewegen, wie das Katharina am Ende des anderthalbstündigen Abends tut: Sie geht aufrecht Stück für Stück die Bühne ab, tippt eine Röhre an, dann die nächste und wieder die nächste. Schließlich schwingen alle in leuchtendem Blau. Dann Black.
Vagantenbühne, 11. und 12. April. Hier geht’s zu den Karten.
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Kai und Opa sind dicke Freunde. Kai hört gern zu, wenn Opa aus seinem Leben erzählt, und das kann der gut. Was hat der aber auch nicht alles erlebt und wie mutig ist er im Krieg gewesen! Kai ist stolz auf seinen Opa.
Aber jetzt ist Opa sehr alt und sehr vergesslich, manchmal weiß er nicht mehr, wo das Klo ist und die Stiefel müssen mit L und R gekennzeichnet werden.
Kai will ihm helfen und hat eine Idee: Er wird Opas Gedächtnis sein, und wenn er mit ihm noch mal durch dessen Leben geht, wird Opa sich wieder erinnern.
Und so machen sich die Beiden auf eine Reise, die Opas Leben wieder ans Licht bringt, allerdings ganz anders, als Opa das immer erzählt hat. Kai muss begreifen, dass der Krieg, in dem Opa gekämpft hat, kein Abenteuer war, sondern die schlimmste Zeit in dessen Leben und er auch nicht der unerschrockene heldenhafte Soldat war, sondern ein junger Mensch, der Angst um sein Leben hatte und nur nach Hause wollte. Und Opa muss vor sich und vor Kai zugeben, dass er Kai nicht die Wahrheit erzählt hat.
Im Krieg gibt es keine Helden
Das Stück von Zoran Drvenkar erzählt diese Geschichte in rascher Szenenfolge und mit gut gebauten Dialogen.
Allerdings ging mir während der Aufführung die Frage durch den Kopf, ob es gerade heute, wo der Krieg in der Ukraine mit seiner Zerstörung und Grausamkeit jeden Tag in unserem Bewusstsein und auch in dem von Kindern ist, überhaupt noch ein Kind gibt, das vom Krieg und dort vollbrachten Heldentaten beeindruckt ist?
Die Inszenierung von Robert Neumann kommt mit wenigen Requisiten auf einer fast leeren Bühne aus. Helena Charlotte Sigal als Kai ist ungeduldig und rastlos, treibt den Opa ganz schön an und damit die Handlung voran. René Schubert begegnet uns zu Beginn als der liebenswerte Alte, der sich auch mal ganz gern hinter seiner Vergesslichkeit zu verstecken scheint. Je länger die Zeitreise andauert, desto eindrücklicher hält er die Balance zwischen Demenz und Altersweisheit.
Matthias Bernhold begleitet das durch sinnfällige Projektionen ergänzte Bühnengeschehen mit verrückten, mir weitgehend unbekannten Instrumenten, die einen mal schrillen, mal feinen leisen Sound zaubern.
GRIPS Theater im Podewil, 4. und 5. Mai.
1. Deutsches Theater Links und rechts der Mauern
2. Vaganten Wartezimmer Haltestelle
3. Berliner Ensemble Puppenlustig
1. Schaubühne Daseinsmüdigkeit
2. Gorki Aufgespießt – Populistisches von links und rechts
3. Theater am Frankfurter Tor „I did it my way“
1. Deutsche Oper Augen zu und durch
2. Komische Oper Fressen und gefressen werden
3. Komische Oper Böse Hexe, gute Hexe
1. Berliner Ensemble Rockerin mit Grips und Witz
2. Deutsches Theater Kurzer Blick in Abgründe
3. Theater im Palais Charme als Pille gegen Depression
1. Theater an der Parkaue Werden und Vergehen auf insektisch
2. Theater an der Parkaue Aufruf zum Widerstand
3. Berliner Ensemble Allein zwischen den Fronten
1. Gorki Architekten müssen träumen
2. Schlosspark Theater Lustige Märchenspielerei
3. Volksbühne Bunter Abend mit Schlachteplatte