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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 510

Kulturvolk Blog | Uwe Sauerwein

von Uwe Sauerwein

24. Februar 2025

HEUTE: 1. Berliner Ensemble– „Faustus :: 1550 San Remo Drive“ / 2. Neuköllner Oper – „Verbrechen – Tanatas Teeschale“ / 3. Deutsches Theater – „Jugend ohne Gott“

1. Berliner Ensemble - Wer ist Faust, wer Mephisto?

"Faustus :: 1550 San Remo Drive" im Berliner Ensemble © RAUM+ZEIT

Brille auf, Brille runter. Sieht so die Zukunft des Theaters aus? Es braucht im Berliner Ensemble eine längere Einweisung in die Handhabung der VR-Brille, bevor das Publikum sequenzweise in virtuelle Welten eintauchen kann. Kein Anlass, gleich den Kulturkampf auszurufen. Theater, das unsere Welt widerspiegelt, darf, ja muss das digitale Zeitalter aufgreifen. Wie nun im Neubau des Brecht-Theaters die Inszenierung von Raum + Zeit. Das deutsch-schweizerische Kollektiv hat mit seinen hybriden Theaterentwürfen unter anderem den Friedrich-Luft-Preis errungen.

Die Grenzverwischung zwischen virtueller und analoger Wirklichkeit, zwischen Live-Spiel und 360°-Filmchen macht auch bei „Faustus :: 1550 San Remo Drive“ reichlich Effekt. Wenngleich der Erkenntniswert der knapp anderthalb Stunden in der Relation bescheiden bleibt. Mit Motiven von Thomas Mann hat sich das Raum+Zeit-Team Alexandra Althoff, Lothar Kittstein und Bernhard Mikeska auseinandergesetzt. Dem Großschriftsteller. Dem Bildungsmonster! San Remo Drive ist die Adresse der im Gegensatz zu den Unterkünften der meisten anderen Flüchtlinge aus Europa sehr komfortablen Villa, die sich der Nobelpreisträger für sich und seine vielköpfige Familie im kalifornischen Exil eingerichtet hatte.

Hier quälte er sich mit „Doktor Faustus“ ab, seinem letzten großen Roman. Es geht darin um den Tonkünstler Adrian Leverkühn, der zur Steigerung seiner Schaffenskraft einen Pakt mit dem Teufel eingeht. Das Opfer, das Satan von Adrian einfordert, ist sein von ihm fast abgöttisch geliebter Ziehsohn Nepomuk.


Eine Hommage sieht anders aus


Als Thomas Mann im Kreis der Familie ausgerechnet das Kapitel über den todgeweihten Knaben vorliest, ist auch sein kleiner Enkel Frido zugegen. Das Kind im Laufstall ist eindeutig das Vorbild für Nepomuk. Zeitlebens wird Frido unter dieser Zurschaustellung leiden. So wirkt der Theaterabend anfangs, beim fiktiven Interview einer Journalistin mit dem erwachsenen Frido Mann, wie die Therapiesitzung eines Missbrauchopfers. Man hört anzügliches Geraune über den Schriftsteller und Vater von sechs Kindern, der in seinen Romanen durchaus Zuneigung zu jungen Männern und Knaben offenbart.

Das Stück, das anlässlich des 150. Geburtstags Thomas Manns entwickelt wurde, kommt dem Vorwurf der Pädophilie sehr nahe. Eine Hommage sieht anders aus. Im „steinernen Saal“ in Palestrina, wo Leverkühn den Pakt mit dem Teufel schloss, soll auch Thomas Mann gewesen sein. Wir sehen die Begegnung, der Teufel erscheint als mit Berliner Straßenslang redender Stricher, hier gespielt von Jannik Mühlenweg. Alle drei Darsteller des Stücks verkörpern im Wechsel den Teufel.


Fassade des Familienvaters


Wer ist Faust, wer Mephisto in der Familie? Das fragt man sich spätestens bei der Auseinandersetzung des Vaters mit dem ungeliebten, ja verachteten Sohn Klaus, der mit „Mephisto“ ebenfalls ein Buch über den Teufelspakt schrieb, den Pakt des Theaterkünstlers mit den Nazis. Vieles wird angerissen und angedeutet, um die Fassade des Künstlers und Familienvaters bröckeln zu lassen. Martin Rentzsch wechselt die Rollen zwischen dem erwachsenen Frido, Thomas Mann und Leverkühn, nicht minder überzeugend spielt Bettina Hoppe alle sechs Kinder Manns, in den Filmsequenzen sogar gleichzeitig.

Die virtuelle Realität ermöglicht optisch reizvolle Perspektivwechsel. Vom Blick des Kleinkindes aus dem Bett bis in schwindelnde Höhe aufs Dach des BE, gefolgt von einem Sturz ins tiefe Wasser der Spree. Wirklich tiefgründig wird das multiple Event aber selbst dadurch nicht.

Berliner Ensemble Neues Haus, 27. März und 14. April. Hier geht’s zu den Karten.


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2. Neuköllner Oper - Vom Glück der kleinen Fische

"Verbrechen - Tanatas Teeschale" in der Neuköllner Oper © Thomas Koy

Der Einbruch in eine vornehme Villa in Dahlem ist das bislang größte Ding, das die drei Neuköllner Jungs drehen. Samir, Öczan und Manólis haben den Geheimcode für die Alarmanlage von einer Bekannten ergattert, die für den Hausherrn, einen japanischen Geschäftsmann, putzt. Sie steigen ein und holen sich den Safe. Nach heftigem Bearbeiten des Tresors bergen sie endlich den Schatz. Ein Batzen Bargeld, dazu einige ganz edle Armbanduhren, echt stark! Nur die Teeschale, die ist doch nix wert, Alter.

„Tanatas Teeschale“ ist eine Kurzgeschichte aus dem frühen Erzählband „Verbrechen“ von Ferdinand von Schirach. Der Anwalt wurde mit Berichten über seine Fälle zum Literaturstar. Liest man die gut 20 Seiten der Story über die drei Kleinkriminellen, hat man eigentlich keine Lust, die darin geschilderte Brutalität noch mal auf der Bühne mit ansehen zu müssen. Der Bestseller von 2009 und somit auch „Tanatas Teeschale“ wurde 2013 fürs Fernsehen verfilmt. Von Schirachs lakonischer, nüchterner Erzählstil, scheinbar ohne jegliche Empathie für die Betroffenen, lässt an vieles denken, nur nicht an Musiktheater.

Aber: Zum zweiten Mal bereits bietet die Neuköllner Oper eine Schirach-Vertonung an. „Subotnik“ wählte einen ungewöhnlichen Weg mit Statements echter Strafverteidiger, die über Gewissen und Moral in ihrem Beruf nachdenken (mehr dazu im Blog Nr. 494 vom 21. Oktober 2024). „Tanatas Teeschale“ hingegen gibt sich als fast konventionelles Musical. Komponiert von Wolfgang Böhmer, der an gleicher Stelle mit „Stella“ oder „Frau Zucker will die Weltherrschaft“ Erfolge feierte. Die jetzige Musical-Uraufführung ist die letzte große Produktion des Teams um Bernhard Glocksin, der sich nach zwei Jahrzehnten aus der künstlerischen Leitung verabschiedet.


Fast wie draußen vor der Tür


Wie bringt man etwas auf die Bühne, das in der Vorlage auf Dialoge verzichtet? Frei nach der Erzählung mussten die Rollen neu erfunden werden von den Autoren Fabian Gerhardt, der auch Regie führt, und Kamil „Demian“, von dem vor allem die Rap Lyrics stammen. So erscheinen die Hauptpersonen ziemlich authentisch. Eine Geschichte wie draußen vor der Tür.

Das wichtigste jedoch: Hier ist ganz viel Ironie im Spiel. Die beiden größeren Gangster Pocol (Armin Wahedi) und Wagner (Oliver Urbanski), die den Einbruch in Dahlem schnell spitzbekommen haben und den Löwenanteil der Beute einfordern, schildern ihren Teil der Story aus dem Fegefeuer heraus. Da haben die beiden das Schlimmste längst hinter sich, denn die grausame Rache des japanischen Besitzers für den vorübergehenden Verlust des in Wahrheit unglaublich kostbaren, weil uralten Trinkgefäßes überleben sie nicht, im Unterschied zu den drei kleinen Fischen.


Ein Hauch von Sozialromantik


Özcan, genannt Ötzi, wird von einer jungen Darstellerin verkörpert, Azaria Dowouna-Hammond. Tonfall, Bewegung, alles stimmt. Salar Jafari als Samir bringt ebenfalls absolut glaubhaft das Lebensgefühl des migrantischen Außenseiters rüber. Ein ganz spezieller Fall ist Manólos. Ein Grieche, dem nach einer Auseinandersetzung eine Kugel im Kopf steckt. Deswegen halluziniert er in Stresssituationen und glaubt, er sei ein Finne. Mit „Ich bin ein Finne aus Athen“ erobert Nicolas Sidiropulos das Premierenpublikum, einer von etlichen komischen Songs. Die kleine Band (Leitung: Markus Syperek/Tobias Bartholmeß) beherrscht spielend Jazz, Rock, Balkan-Pop, Reggae und natürlich Hip-Hop.

Linda (Linda Belinda Podzius), die von Samir eine Tochter erwartet, ist neu hinzugekommen. Damit man mehr Frauen in der Geschichte hat. Sie bringt die drei Freunde dazu, der Kriminalität zu entsagen. Ein Hauch von Sozialromantik, die man bei von Schirach nicht findet. So ist die Kurzgeschichte der Realität näher als das Musical.

Neuköllner Oper, bis 16. März. Hier geht’s zu den Karten.


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3. Deutsches Theater - Gegen die Gleichgültigkeit

"Jugend ohne Gott" im Deutschen Theater © Jasmin Schuller

Wer schweigt, macht sich mitschuldig. Diese Botschaft, oft bemüht bei Gedenkzeremonien, wird uns in der Kammer des Deutschen Theaters als neue Erkenntnis präsentiert. Gut, vielleicht muss man sie auch immer aufs Neue aussprechen, wenn einer Gesellschaft die moralischen Werte abhanden zu kommen drohen. Man kann es sich aber auch zu einfach machen.

Als Produktion von „DT Jung“ hat sich das Team der Regisseurin Emel Aydoğdu bei deren Debüt am Haus mit „Jugend ohne Gott“ auseinandergesetzt. Ödön von Horvaths Roman von 1937 schildert aus der Sicht eines Lehrers die Zustände an seiner Schule in einem autoritären System. Heutige Schullektüre, die das Theater gern als Zerrspiegel für heutige Verhältnisse nutzt. In Berlin 2019 Thomas Ostermeier an der Schaubühne mit Jörg Hartmann als Lehrer, im selben Jahr Nurkan Erpulat am Gorki, der den Klassiker in den migrantisch geprägten Schulalltag der Gegenwart holte. Ähnliches versucht man nun auch am Deutschen Theater, aber mit ganz anderen Mitteln.

Es gibt keine festen Rollen. Ein zwölfköpfiges Ensemble junger Laiendarsteller agiert, von den Kostümen her an einen Vogelschwarm erinnernd, wie ein antiker Chor, zwischendurch werden einzelne Figuren im Wechselspiel übernommen. Der technische Aufwand ist hoch und erzielt durchaus Wirkung, eine variable Bühne mit einem vielseitig einsetzbaren Gerüst (Eva Lochner), viel Musik, Videos und Livekamera, das gesamte angesagte Equipment eben. Auslöser für den Konflikt, in den der Pädagoge gerät, ist ein Schulaufsatz über Sinn und Zweck von Kolonien. Als ein Schüler schreibt, dass Afrikaner (das „N“-Wort wird in dieser Inszenierung durch„alle Ausländer“ ersetzt) keine Menschen sind, wird er vom Lehrer gemaßregelt. Was letztlich eine Lawine von Gewalt auslöst.


Jugendliche kommen selbst zu Wort


Gewalt an Schulen, ein Thema der Gegenwart. Leider wird Horvaths packende Geschichte nicht zu Ende erzählt. Nach einer Stunde ist abrupt Schluss. „Was für eine Generation wird das sein, eine harte oder nur eine rohe?“ Ausgehend von dieser Frage des Lehrers hat man im Vorfeld mit 15- bis 17-Jährigen gesprochen über ihre Ängste und Probleme, ihre Einschätzung der aktuellen politischen Lage.

Die Ergebnisse werden nun, nachdem sich die Darsteller umgezogen und abgeschminkt haben, verkündet. Eine halbe Stunde politisch korrekter Indoktrination mit direkter Ansprache ans Publikum. Bist Du Mitläufer? Wann hast Du das letzte Mal Widerstand geleistet? In meiner Jugend nannte man so etwas Agit-Prop. Auch wenn es Denkanstöße auslöst, dafür will man eigentlich nicht ins Theater gehen.

Deutsches Theater Kammer, Karten direkt im DT.

 

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