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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 501

Kulturvolk Blog | Uwe Sauerwein

von Uwe Sauerwein

9. Dezember 2024

HEUTE: 1. Deutsche Oper Berlin – „Macbeth“ / 2. Komische Oper Berlin – „Sweeney Todd“ / 3. Komische Oper Berlin – „Die Kleine Hexe“ / Extra-Tipp: Neuköllner Oper – „Der Teufel im Lift“

1. Deutsche Oper - Augen zu und durch

"Macbeth" in der Deutschen Oper Berlin © Eike Walkenhorst

Es geht um Macht, um Geld. Um norwegische Ölfelder und weltbeherrschende Großkonzerne. Es geht um die digitale Totalkontrolle der Menschheit. Um Liebe geht es nicht. Dafür um Kinderwunsch und künstliche Befruchtung.

Ja, doch, wir sind bei Shakespeare. „Macbeth“ war das erste Drama Shakespeares, das Giuseppe Verdi vertonte, mit einer von seinen Librettisten Francesco Maria Piave und Andrea Maffei gestrafften Handlung. Der Uraufführung 1847 in Florenz folgte 18 Jahre später eine Fassung für das Pariser Publikum. Die Geschichte vom Aufstieg und Fall des skrupellosen Herrscherpaares zählt zu den blutrünstigsten Opern überhaupt. Dank der Prophezeiung der Hexen ahnt man von Anfang an das böse Ende, das Macbeth und seine machtgeile Lady nehmen. Der Feldherr, der durch Königsmord zum Regenten Schottlands wird, führt sein Reich in die Unabhängigkeit von England und sein Volk in die Diktatur.

Die Deutsche Oper Berlin hat das Schicksal Schottlands in die Hände einer Französin gelegt. Marie-Ève Signeyrole fiel in Berlin zuvor mit kleineren Musiktheater-Projekten auf. Nun löst ihr dystopischer Polit-Thriller die noch gar nicht so alte Inszenierung von Robert Carsen ab. Die angesagte Regisseurin ist auch passionierte Videokünstlerin. Bei „Macbeth“, aufgeteilt in fünf dramatische Bilder, darf sie sich mit Videos und Livekamera austoben. Das ist selbst im Musiktheater längst nichts neues mehr. Hier trägt es zur Aufklärung der Geschichte zwischen Tyrannei und Wahnvorstellungen wenig bei, im Gegenteil.


Hexen machen Lobbyarbeit für Konzerne


Signeyrole setzt gleich mehrere Konzepte an, einer Idee allein vertraut sie wohl nicht. Schwert und Kalaschnikow, Schottenrock und Militärlook neben Businessdress plus mittlerweile auf der Opernbühne unerlässlichem Laptop. Dazu mystisch ein nackter Mann als Hirsch verkleidet. Die Hexen erscheinen wie Avatare, arbeiten hier als Lobbyisten für eine universale Wirtschaftsmacht.

Ein anderer Aspekt der aus einer Mischung aus beiden „Macbeth“-Fassungen bestehenden Handlung sind die verzweifelten Versuche des Herrscherpaares, einen Thronfolger zu zeugen. Ihre erste Arie singt Lady Macbeth an einer leeren Wiege, während sie Babyklamotten in eine Mülltüte entsorgt. Noch plakativer und teilweise schwer erträglich für sensible Gemüter gestaltet die Regie die Ermordung der Kinder der politischen Rivalen. Vieles wirkt, trotz einiger starker Bilder, erschreckend plump an dieser Regiearbeit. Manches lächerlich, wie das Attentat auf Macbeth, der wie Donald Trump mit einem Schuss am Ohrläppchen verletzt wird.

Fabien Teignés’ Bühne, die bei Verwandlungen oft rumpelt und quietscht, erleichtert auch nicht gerade die Orientierung. Augen zu und durch, denkt man sich. Andere Premierengäste hingegen äußerten früh ihren Unmut, der am Ende in einen Buhsturm für das Regieteam gipfelte.


Sehnsucht nach Italianitá


Für die Partie der Lady Macbeth, in der an der Staatsoper Unter den Linden Anna Netrebko für Furore sorgte, war Anastasia Bartoli vorgesehen, die stimmlich wie optisch Fulminanz versprach. Nach der Absage der Italienerin sprang Felicia Moore aus New York ein, ihr Sopran vermag vor allem in der Höhe zu brillieren. Als Macbeth hinterließ Bariton Roman Burdenko einen nicht minder starken Eindruck, die Nebenpartien waren ebenfalls gut besetzt, wie auch auf den Chor der Deutschen Oper immer Verlass ist. Wer Sehnsucht nach Italianità hat, sollte sich an den Fachmann am Pult halten. Enrique Mazzola schafft mit seinem Dirigat, woran die Regie scheitert: Dem Intrigenspiel auf der Bühne Struktur und Emotionen zu verleihen.

Deutsche Oper Berlin, 11. und 25. Januar. Hier geht’s zu den Karten.


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2. Komische Oper - Fressen und gefressen werden

"Sweeney Todd" in der Komischen Oper Berlin © Jan Windszus

Ein Mann sinnt auf Rache. Nach Jahren aus dem Exil zurückgekehrt nach London, hat Sweeney Todd noch eine Rechnung offen. Eigentlich heißt er Benjamin Barker, betrieb einen Barbiersalon, hatte eine Gattin und eine süße Tochter. Doch die Intrige des Richters Turpin, der auf seine Frau Lucy scharf war, zerstörte das Glück. Sweeney Todd ist bereit, an alter Wirkungsstätte in der Fleet Street erneut das Rasiermesser zu schwingen. Aber trifft es den Richtigen?

Ein echtes Grusical tischt uns die Komische Oper da auf mit Steven Sondheims „Sweeney Todd“. Wobei aufgetischt ein gutes, oder besser böses Stichwort ist. Denn auf der Suche nach seinem alten Friseurladen begegnet der ruhelose Titelheld der Bäckerin Mrs. Lovett. Die verkauft wohlschmeckende Pasteten, steht jedoch vor dem Bankrott. Als ihr neuer Gefährte seine Vergeltungspläne scheitern sieht und aus Verzweiflung am liebsten die ganze Menschheit auf seinem Barbierstuhl umbringen möchte, hat die Bäckerin eine makabre Idee. Warum nicht Sweeneys Mordopfer zu leckeren Fleischpasteten verarbeiten?

Man sollte schon ein gewisses Gespür für tiefschwarzen Humor mitbringen. Sondheims auf einem Groschenroman und einem Bühnenstück basierender Musical-Thriller feierte 1979 Uraufführung am Broadway. Dank Johnny Depp gelangte der teuflische Barbier auch ins Kino. Noch als Intendant der Komischen Oper hatte Barrie Kosky das fast durchkomponierte Musical auf dem Schirm. Ausgerechnet am Premierenabend im Schillertheater wurde gewahr, dass der Komischen Oper selbst das Messer am Hals sitzt. Berlins Sparbeschlüsse sind ein Schrecken der realen Art.


Herausforderung für Dagmar Manzel


Wie viele Produktionen des Hauses ist „Sweeney Todd“ nahezu ausverkauft. Das mag am Namen des Regisseurs liegen, noch mehr an der Besetzung. Christopher Purves, der in Koskys „Ring“-Inszenierung in Covent Garden den Alberich gab, fasziniert in der Titelrolle. Selbst die Sprechstimme und die very britische Aussprache des Bassbaritons verlangt Bewunderung.

Die Figur der Nelly Lovett dürfte die bisher anspruchsvollste Musiktheaterrolle für Dagmar Manzel sein, die ja an der Komischen Oper eine zweite Karriere startete. Auch auf Englisch schlägt sie sich vortrefflich. Es war eine gute Entscheidung, auf die Übersetzung zu verzichten, zu eng und perfekt sind Sondheims Wort- und Mordwitz mit seiner Musik verzahnt. Schnell hat man La Manzel ins Herz geschlossen. Das Grausame der Figur nimmt man ihr deshalb erst ab, als Sweeney sie in den Backofen stößt wie die böse Hexe. Dass die Regisseurin Manzel am Haus gerade „Hänsel und Gretel“ einstudiert, ist natürlich Zufall.

Ein bisschen zu brav wirken auch Hubert Zapiór und Alma Sadé als Liebespaar Anthony und Johanna. Jens Larsen verleiht dem Richter Turpin Kontur mit Zwischentönen. Tom Schimon begeistert mit einer jugendlichen Rolle, die sich entwickelt: vom unterdrückten Faktotum zum Gerechten, der den Rächer Todd in die Hölle befördert.

Fressen und gefressen werden: Kosky erzählt die Geschichte kapitalismuskritisch mit Affinitäten zur Dreigroschenoper. Bis zur Pause geht die Rechnung dank Einsatz von Ironie auf. Sondheim, der als Opernhasser galt, arbeitet neben Musicaltönen trotzdem mit Leitmotiven und Belcanto-Anklängen und baut wiederholt den Choral „Dies Irae“ ein. Das sorgt für beschwerte Stimmung, vor allem wenn man es so ernst dirigiert wie GMD James Gaffigan. Die Regie steuert im Lauf der Handlung immer weniger dagegen. Das Blut spritzt nur so, aber auch nicht heftig genug, dass man es als Satire wahrnimmt.

Am Ende verdrängt der Jubel über die künstlerische Leistung das Magengrimmen. Nur sollte man genau überlegen, was man nach dem Opernbesuch zu speisen gedenkt…

Leider sind fast alle Vorstellungen in der Komischen Oper im Schillertheater ausverkauft; für den 23. Dezember gibt es noch wenige Restkarten.


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3. Komische Oper - Böse Hexe, gute Hexe

"Die Kleine Hexe" in der Komischen Oper Berlin © Jan Windszus

Fast traue ich mich nicht, Ihnen diese Kinderoper ans Herz zu legen. Am Ende sind Sie mir böse, wenn Sie sich vergeblich um Karten für sich und die Liebsten bemüht haben. Es spricht sich halt rum, dass die Komische Oper auch die jüngsten Besucher verzaubert. Wie bei „Pippi Langstrumpf“ in Dagmar Manzels Regie (mehr dazu im Blog Nr. 418 vom 28. November 2022) oder im vergangenen Jahr „Nils Holgerssons wundersame Abenteuer“ grenzt der Erwerb von Tickets besonders vor den Feiertagen an Hexerei.

Hexen ist etwas, was die Titelfigur in „Die kleine Hexe“ noch lernen muss. Deshalb lassen sie die großen Hexen bei der Walpurgisnacht nicht mittanzen. Die Oper ist eine Vertonung von Otfried Preußlers 65 Jahre altem Kinderbuch. Komponist ist Franz Wittenbrink, der schon der frechen Pippi passende Klänge verpasste. Das der heutigen Zeit angepasste Libretto schrieben erneut Anne X. Weber und Susanne Lütje. Ein Wiedersehen gibt es auch mit Pippi-Darstellerin Maria-Danaé Benson in der Titelrolle, diesmal mit der Berliner Schnauze, mit der sie zuletzt als Sekretärin in „Messeschlager Gisela“ begeisterte (mehr dazu im Blog Nr. 486 vom 17. Juni 2024). Alfred Peter, der die schönen Kulissen für Nils Holgerssons Abenteuer schuf, entwarf erneut das Bühnenbild. Nur steht das Hexenhaus nicht im Märchenwald, sondern in einem Plattenbau sozialistischer Prägung.


Wilde Walpurgisnacht


Immer mehr Zaubertricks lernt die Kleine Hexe auf dem Weg zur Prüfung bei der Oberhexe. Und immer mehr tritt sie für die gute Sache ein. Begleitet von ihrem schwarzgefiederten Kumpel Abraxas und den Geschwistern Thomas und Vroni hilft das Mädchen mit dem Besen vielen Menschen aus der Not. Was beim Hexenrat gar nicht gut ankommt. Denn nur eine böse Hexe ist eine gute Hexe.

Mit einem Trick nimmt die Kleine allen anderen Hexen die Macht, um am Ende ausgelassen mit den Kindern aus der Wohnsiedlung eine wilde Walpurgisnacht zu tanzen. Zu einer Musik, die dem kindlichen Ohr durchaus was zutraut, es aber nicht überfordert. Anne Hinrichsen zieht am Pult souverän die Fäden. Ganz groß, so groß wie die Erwachsenen, erweisen sich die Kinder und der von Dagmar Fiebach geleitete Kinderchor. Martina Gredlers Inszenierung spricht das Publikum aller Altersklassen an.

Abrakadabra, versuchen Sie Ihr Glück. Es lohnt sich:

Komische Oper im Schillertheater, wenige Restkarten direkt hier.


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Extra Tipp: Neuköllner Oper – „Der Teufel im Lift“
Johann Sebastian Bach passt immer. Zu jeder Zeit an jedem Ort. Selbst zu nächtlicher Stunde in der Lobby eines Großstadthotels. Die Berliner Lautten Companey, gerade 40 geworden, steht für den Brückenschlag zwischen Epochen und Kulturen. So agiert das Ensemble unter der Leitung von Mitbegründer Wolfgang Katschner als Bühnenorchester bei „Der Teufel im Lift“. Eine himmlisch teuflische Story um menschliche Fragen, prächtig gesungen zu Ausschnitten aus Bach-Kantaten. John von Düffels Stück feierte in der Neuköllner Oper vor gut einem Jahr Uraufführung. Dort kann man dem musikalisch wie szenisch originellen Ereignis erneut beiwohnen.

Neuköllner Oper, bis 5. Januar. Hier geht’s zu den Karten.

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