HEUTE: 1. KOMISCHE OPER BERLIN – „PIPPI LANGSTRUMPF“ / 2. STAATSOPER UNTER DEN LINDEN – „IL GIUSTINO“ / 3. SCHLOSSPARK THEATER – „DAS ABSCHIEDSDINNER“
„Mir ist laaaangweilig!“ Jeden Tag dasselbe Lied, klagen Tommy und Annika. Doch für die Geschwister wird die Tristesse schnell ein Ende haben. Denn in der Nachbarschaft ist ein verrücktes Mädchen mit knallroten, abstehenden Zöpfen eingezogen. Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraimstochter Langstrumpf, kurz: Pippi.
Die Komische Oper wird zur Villa Kunterbunt. Mit einer Auftragsoper über die berühmteste Neunjährige der Welt. 1946 erfand die schwedische Schriftstellerin Astrid Lindgren ihre freche Heldin. Die drei Pippi-Langstrumpf-Romane wurden in 77 Sprachen rund 66 Millionen Mal verkauft und mit riesiger Resonanz verfilmt.
„Pippi Langstrumpf“, die Oper, bezieht sich vor allem auf die erste Episode. Pippi wartet auf ihren Vater, einen Kapitän, der auf hoher See verloren gegangen ist. „Meine Mama ist ein Engel im Himmel, mein Papa ein Südseekönig“ erklärt sie Tommy und Annika, mit denen sie sich schnell anfreundet. Die Erwachsenen hingegen zeigen weit weniger Begeisterung für die Göre, die sich nirgends anpassen will. Weder in der Schule, die besucht sie nur, um Ferien zu kriegen, noch beim Kaffeekränzchen, bei dem nicht nur die Torte Schaden nimmt.
Oper außer Rand und Band
Die mit tollen Einfällen gespickte Bühnenfassung stammt von Susanne Lütje und Anne X. Weber. Die Musik für den Zweiakter lieferte Franz Wittenbrink, die erste Kinderoper des Komponisten, der durch Liederabende wie „Sekretärinnen“ bekannt wurde. Dagmar Manzel, Sängerin und Schauspielerin, gibt ihr Debüt als Regisseurin. Viel Neuland also für die Beteiligten. Das erfordert Entdeckergeist, Energie, Fantasie und Spontaneität, all das, was auch Pippi auszeichnet.
Die Wirkung erlebt man am besten vormittags, wenn das Publikum von Morgen das Opernhaus schulklassenweise in Beschlag nimmt. Zunächst herrscht lärmender Ausnahmezustand. Doch dann trifft der Geräuschemacher Daniel Mandolini sofort den Nerv der Kinder. Nur Zugucken ist nicht, man muss sich selbst einbringen, etwa bei der Gewitterszene oder bei Pippis Morgengymnastik.
Pippi ist schlau und stark. Sie zeigt es allen, pingeligen Nachbarinnen, der doofen Polizei, tölpelhaften Ganoven, die ihr den Koffer mit den Goldstücken klauen wollen, und den Halbstarken, die einen kleinen Jungen piesacken. Ungerechtigkeit kann Pippi nämlich gar nicht leiden. Das kommt an beim Publikum.
Zusammenspiel von Jung und Alt
Großartig schlagen sich Jan Polonek und Evelyn Steinbrecher, beide aus dem Kinderchor, als Tommy und Annika. Zur erwachsenen Pippi-Darstellerin, an diesem Morgen ist es die quirlige Maria-Danaé Bansen, spürt man kaum einen Unterschied. Und das bei schwierigen Gesangspassagen. Wittenbrinks Musik ist durchaus anspruchsvoll. Sie schöpft vor allem aus dem reichen Repertoire der Jazzgeschichte, ohne das Kinderohr zu überfordern. Unter Leitung von Andrew Toogood erzielt das Orchester in kleiner Besetzung große Wirkung.
Alten Bühnenhasen wie Bernd Stempel, unter anderem als Fräulein Prysselius, das Pippi ins Kinderheim stecken will, merkt man den Spaß an ihren Rollen an. Zum Wiehern: Christoph Jonas, Sänger und Tänzer, als Pippis steppendes Pferd, mal mit, mal ohne Hinterteil.
Kann es sein, dass alle Mitwirkenden Krummelus geschluckt haben, Pippis Zauberpille, die Kinder angeblich niemals erwachsen werden lässt?
Komische Oper Berlin, 8. und 15. Januar. Hier geht's zu den Karten.
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Was für eine Geschichte: Ein einfacher Bauer namens Giustino rettet eine junge Frau vor einem wilden Bären. Sie ist die Schwester der Kaiserin. Giustino begleitet sie an den Herrscherhof. Dort belagert ein Rebell die Stadt, will nur Frieden schließen, wenn er die Kaiserin zur Frau bekommt. Die ist jedoch bereits verheiratet. Der Rebell hat einen nicht minder bösen Bruder, der sich als Hofdame verkleidet in den Palast einschleicht.
Wiederholt beweist sich Giustino als Kriegsherr. Dann offenbart sich, dass die beiden Bösewichter und er in Wahrheit Brüder sind. Fortan kämpft man gemeinsam für das Gute. Denn ein Verräter im Palast hat das Kaiserpaar gestürzt. Giustino und seine geläuterten Brüder eilen zu Hilfe. Als Lohn für die Rettung wird er zum Mitregenten gekrönt und darf die Schwester der Kaiserin ehelichen.
Nein, das ist kein Drehbuch für einen Sandalenfilm. „Il Giustino“ bezieht sich auf dramatische Ereignisse, die sich um das Jahr 500 am byzantinischen Hof in Konstantinopel abspielten und in der Barockzeit den Stoff für mehrere Opern lieferten. Gerade in Venedig, wo man seit jeher ein besonders Interesse am Schicksal von Byzanz hegte.
Antonio Vivaldis Oper gelangte 1724 erstmals auf die Bühne. Durch eine Intrige in seiner Heimatstadt Venedig ausgebremst, brachte der Komponist sein Dramma per Musica in Rom zur Uraufführung.
Barocke Schätze Unter den Linden
Mit der Inszenierung von „Il Giustino“ spielt die Staatsoper Unter den Linden tatsächlich zum ersten Mal in ihrer Geschichte eine Oper von Vivaldi. Wiederentdeckt für das Musiktheater wurde der Komponist erst in den 1920er Jahren. Seine Konzerte waren bereits weltberühmt, vor allem natürlich die „Vier Jahreszeiten“, aus denen in „Il Giustino“ mehrfach zitiert wird.
Die Oper ist eine absolut lohnende Entdeckung, bei der Premiere mit stehenden Ovationen gefeiert. Eine perfekte Einstimmung auf die Barocktage an der Staatsoper. Wenn die Staatskapelle gegen Jahresende auf Gastspielreise geht, schlägt traditionell die Stunde für René Jacobs und seine formidable Akademie für Alte Musik Berlin. Aus Vivaldis ursprünglich rund fünfstündigem Werk hat Jacobs durch Streichung ganzer Arien bzw. Wiederholungen eine packende dreieinhalbstündige Version erarbeitet. Dirigent und Regie verstehen die barocke Oper als das, was auch Vivaldis Zeitgenossen damit verbanden: als gehobenes Entertainment.
Barbora Horákova geht in ihrer Inszenierung mit für eine Opera Seria ungewöhnlich viel Ironie zu Werke. Fast schon parodistisch zitiert das Bühnenbild von Thilo Ullrich die barocke Theatermaschinerie, inklusive Wölkchen, auf denen Gottheiten schweben. In der Mitte der Bühne dreht sich das Rad der Fortuna, geht es in der Geschichte doch auch um die Beziehung von Macht und Glück.
Verwirrspiel der Geschlechter
Dass Opernfiguren eine Entwicklung als Mensch erfahren, war zu Vivaldis Zeiten eher ungewöhnlich. Auch dass, abgesehen von der Titelfigur, in „Il Giustino“ vor allem die Frauen die Handlung vorantreiben. Es ist ein Abend der hohen Stimmen. In der Papststadt Rom, wo Frauen von der Bühne verbannt waren, waren sämtliche Figuren, auch die männlichen, bei der Uraufführung mit Kastraten besetzt. Vom Countertenor zum Mezzosopran reichen die Stimmlagen in der Staatsoper, ungewöhnliche Besetzungen verstärken das Verwirrspiel der Geschlechter noch. Fast alle Rollen werden von Kindern gedoubelt. Als Schlussklasse von heute brechen sie in das Geschehen ein und verbinden so die barocke Welt mit unserer.
Vor allem musikalisch ist „Il Giustino“ ein Fest, mit Vokalartisten, die zum Besten im barocken Fach zählen, so die Countertenöre Christophe Dumaux in der Titelpartie und Raffaele Pe als Kaiser Anastasio, nicht minder brillant die Sopranistinnen Kateryna Kasper als Kaiserin Arianna sowie Robin Leonhard als deren Schwester Leocasta. Aus dem Orchestergraben gesellt sich Franziska Fleischanderl mit ihrem Salterio, einer Kastenzither, manchmal am Bühnenrand zu den Protagonisten. Ein Sinnbild für das wundervolle Miteinander aller Beteiligten dieses Opernabends.
Staatsoper Unter den Linden, 2. und 6. Dezember. Hier geht’s zu den Karten.
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Die Hölle, das sind die anderen. Das wissen wir spätestens seit Jean-Paul Sartre. Ganz so diabolisch geht es im Bekanntenkreis von Pierre und Clotilde zwar nicht zu. Doch wenn man beruflich eingebunden ist und dazu schwer beschäftigt mit der Erziehung zweier Kinder, werden alte Freunde, die man nur noch aus Pflichtgefühl trifft, zur Belastung.
Doch die Pariser Eheleute haben eine geniale Idee. Einen letzten Abend, an dem man den Freunden noch einmal allen Wohlgefallen erweist. Mit gutem Essen, der Lieblingsmusik der Freunde sowie einem Wein aus ihrem Geburtsjahr, selbst wenn der so viel kostet wie ein Kleinwagen. All dies soll helfen, den überflüssigen Gefährten schonend den Laufpass zu geben.
„Das Abschiedsdinner“, verfasst vom französischen Autorenduo Matthieu Delaporte und Alexandre de la Patelliére, wurde 2014 uraufgeführt. Im Schlosspark Theater inszenierte nun Philip Tiedemann das turbulente Drei-Personen-Stück.
Ein Sonderling als Versuchskaninchen
Dritter im Bühnenbunde ist Antoine, Pierres Kumpel seit der Schulzeit. Ein Sonderling, privat wie beruflich. Und daher ein vermeintlich leichtes Opfer, mit dem die Gastgeber ihr Dinner-Konzept erstmals erproben wollen. Doch der Abend, wen wundert’s, läuft aus dem Ruder. Es geht schon damit los, dass der Gast überraschenderweise alleine erscheint. Seine Frau „hat heute Theater“, sagt er. Aber das wahre Theater veranstalten die Gastgeber im Wohnzimmer.
Karsten Kramer, Darsteller des Pierre, ist körperlich sehr klein geraten. Krista Birkner, die seine resolut-spröde Gattin verkörpert, überragt ihn um Haupteslänge. Reichlich Humorpotenzial für die Regie, die zunächst auf komödiantische Intensität setzt. Antoine hat den Braten schnell gerochen, obwohl er Vegetarier ist. Noch bevor die fleischlose Gazpacho-Suppe serviert werden kann, weit vor der Pause, durchschaut er den Hinterhalt.
Diesen Antoine verkörpert Dominique Horwitz. Der prominente Schauspieler und Chansonnier ist auch dann großartig, wenn er nur schweigt und schaut. Wie in der langen Passage, wo Pierre gestenreich erklärt, warum Antoine sich aus ihrem Leben verabschieden soll.
Schmutzige Wäsche wird gewaschen
Es kommt zum großen Krach. Aber der Abschied ist von kurzer Dauer. Schnell steht der Geschasste erneut auf der Matte. Selber geschult durch viele Sitzungen als Patient, veranstaltet Antoine nun eine Art Therapiespiel, inklusive Rollen- und Kleidertausch. Es wird schmutzige Wäsche gewaschen, was die Männerfreundschaft angeht. Doch auch die Beziehung des Ehepaars offenbart mehr und mehr Brüche.
Nach all der Komik zu Beginn wird das Stück immer nachdenklicher. Kein Boulevardstoff von der Stange also, sondern eine geistreiche Komödie über die Fallstricke zwischenmenschlicher Beziehungen.
Schlosspark Theater, bis 26. Dezember. Hier geht’s zu den Karten.
1. Schaubühne Daseinsmüdigkeit
2. Gorki Aufgespießt – Populistisches von links und rechts
3. Theater am Frankfurter Tor „I did it my way“
1. Deutsche Oper Augen zu und durch
2. Komische Oper Fressen und gefressen werden
3. Komische Oper Böse Hexe, gute Hexe
1. Berliner Ensemble Rockerin mit Grips und Witz
2. Deutsches Theater Kurzer Blick in Abgründe
3. Theater im Palais Charme als Pille gegen Depression
1. Theater an der Parkaue Werden und Vergehen auf insektisch
2. Theater an der Parkaue Aufruf zum Widerstand
3. Berliner Ensemble Allein zwischen den Fronten
1. Gorki Architekten müssen träumen
2. Schlosspark Theater Lustige Märchenspielerei
3. Volksbühne Bunter Abend mit Schlachteplatte
1. Kleines Theater Schauspiel vom Feinsten
Renaissance-Theater Bitterböse, aber zu komisch
3. Grips Für getrennte Eltern und getrennte Kinder