0
Service & Beratung: (030) 86009351
Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 504

Kulturvolk Blog | Uwe Sauerwein

von Uwe Sauerwein

13. Januar 2025

HEUTE: 1. Staatsoper Unter den Linden – „Roméo et Juliette“ / 2. Neuköllner Oper – „Body Work“ / 3. RambaZamba Theater – „Reizende Leute, diese Boulingrins“

1. Staatsoper - Verloren in der Liebeswelt

"Roméo et Juliett" in der Staatsoper Unter den Linden © Monika Rittershaus

Keine Nachtigall, keine Lerche. Dafür Schmetterlinge, immer wieder Schmetterlinge. Riesig projiziert in voller Bühnengröße, klein eingerahmt als Wandzierde im Wohnzimmer. Überall und in vielen Farben begegnen wir den Faltern. Das Insekt symbolisiert Schmetterlinge im Teenager-Bauch. Juliette ist hoffnungslos in Roméo verschossen, den unangepassten Typen, der so gar nicht den Vorstellungen ihrer vornehmen Familie entspricht. Aber das tut Juliette ja auch nicht.

Wenn wir von romantischer Liebe sprechen, dann sind Romeo und Julia nicht weit. Vor allem deshalb, weil die beiden Liebenden so früh und so unglücklich sterben. Für das Musiktheater ist Shakespeares Liebespaar ein gefundenes Fressen, bis zu Bernsteins „West Side Story“ oder unlängst der poppigen Variante von Plate und Sommer im Theater des Westens (mehr dazu im Blog Nr. 433 vom 27. März 2023). Wobei es die Librettisten seit jeher mit Shakespeares Handlung oft nicht so genau nahmen.

Dass der Tod zwei verfeindete Familien miteinander versöhnt, spielt für Jules Barber und Michel Carré, die den Text für Charles Gounods Drame lyrique schrieben, keine Rolle. Für den Komponisten bedeutete „Roméo et Juliette“, obgleich er künstlerisch durchaus schon etabliert war, den endgültigen Durchbruch. Dass die Uraufführung 1867 zeitgleich mit der Pariser Weltausstellung stattfand, war sicher von Vorteil. Aber der Genius des Tonschöpfers, der unüberhörbar in der sakralen Musik bewandert war, klingt in diesem Werk beeindruckend durch. Mit wundervollen Duetten des Liebespaares, mit gewaltigen Chören und einer fulminanten Kampfszene. Schon deshalb sollte der Fünfakter öfter in Berlin gespielt werden.


Konflikt zwischen Generationen


An der Staatsoper Unter den Linden hat sich nun die Französin Mariame Clément des Dramas angenommen. Sie verpflanzt es, nichts ungewohntes, in die Gegenwart. Zeichnet es, dem Libretto gemäß, nicht als Streit unter Familien, sondern zwischen Generationen. Roméos Sippschaft, die Montaigus (französische Schreibweise), werden anders als bei Shakespeare in dieser Oper nicht vorgestellt. Umso ausführlicher dafür die Capulets. Eine blasierte, in dieser Inszenierung total spießige Familie, die im ersten Akt Juliettes Geburtstag feiert. Der Teenager mit Schlabberlook und blau gefärbten Haaren passt in diese Gediegenheit nun gar nicht. Auch nicht die Gäste, die sich heimlich eingeschlichen haben. Die Montaigus tauchen hier als Punks auf, später auch als Haus- und Gartenpersonal der reichen Capulets. Mehr ein Klassen- als ein Familienkonflikt.

Das Geburtstagskind begegnet Roméo, und das Drama nimmt seinen Lauf. Dass es unglücklich enden wird, das scheinen alle Beteiligten schon zu Beginn zu ahnen. Jedenfalls verdeutlicht das der Prolog, den Mariame Clément als Theatervorstellung mit Blick ins Publikum inszeniert. Die Regisseurin zeigt Freude auch an Nebensächlichem, ist zeitweise sehr verspielt. So wirkt ihre Interpretation selten brachial, wenngleich Traditionalisten wieder zu schlucken haben und man sich wünscht, man würde der Musik mehr vertrauen.


Hochzeitsnacht im Kinderzimmer


Trotzdem, es kommen auch hier romantische Gefühle auf, wenn sich das Liebespaar ganz in seiner Welt verliert, alles um sich herum ausblendet. Sei es am Balkon eines schicken Bungalows, sei es nachts auf der Parkbank oder bei der mystischen Hochzeitsnacht in Juliettes Jungmädchen-Zimmer, wo noch Bravo-Poster an der Wand hängen. Julia Hansens Bühne und Kostüme bieten immer wieder Überraschungen. Die Massenschlägerei zwischen den Jungmännern der Capulets und Montaigus findet, mit Anleitung eines Stuntmans, in der Turnhalle einer Schule unter Basketballkörben statt. Pater Laurent, der Juliette zum vorgetäuschten Tod ermutigt, ist ein linker Lehrer mit Zopf, dem am gesellschaftlichen Ganzen gelegen ist. Statt in der Gruft findet Roméo seine scheintote Juliette in der Pathologie.

Das grenzt manchmal schon an Klamotte. Wer das wegsteckt, wird sich von Jugendliebe und Liebestod berühren lassen. Die sängerische Qualität kommt dabei zu Hilfe, ganz abgesehen von der Staatskapelle, die bei der Premiere und den Aufführungen im Herbst feinfühlig von Stefano Montanari geführt wurde. Für die letzten Vorstellungen der Spielzeit im Mai und Juni variiert die Besetzung.

Staatsoper Unter den Linden, 24. und 27. Mai. Hier geht’s zu den Karten.


***

2. Neuköllner Oper - Fit bis zum Exitus

"Body Work" in der Neuköllner Oper" © Thomas Koy

Was nicht tötet, härtet nur ab. Schmerz ist nichts anderes als Schwäche. Also weiter, immer weiter. Das Studio der Neuköllner Oper wird zum Fitness-Studio. Wörter wie „Magnesiumdefizit“ eignen sich auch für Arien. Und so nimmt das Publikum je zur Hälfte neben einer der beiden Eingangstüren Platz. Die kleine Spielfläche in der Mitte ist geteilt durch eine imaginäre Spiegelwand. Davor und dahinter, absolut synchron, agieren eine rundliche Frau und ein langer dünner Mann. Die Frau verkörpert den Spirit, der Mann den Body. Schweißtreibendes Training ist angesagt. Schneller, härter, besser. Denn nur in einem gesunden Körper…, Sie wissen schon.

Selbstoptimierung in jeder Lebenslage, in jedem Beruf. Auch Künstler im Musiktheater können davon ein Lied singen. Da liegt der Gedanke nicht fern, ein musiktheatrales Zirkeltraining um Leben und Tod zu kreieren. „Body Work“ ist dieser gnadenlose Drill mit um ein Haar tödlichem Ausgang übertitelt. Laura Winkler schrieb die Musik für Sopran, Bass und Perkussion. Das Libretto stammt von Amy Stebbins, die uns an gleicher Stelle einen turbulenten Einblick in die neue Welt des Wohnens bescherte (mehr dazu im Blog Nr. 440 vom 15. Mai 2023). Andrea Conangla, Koloratursopran, agiert als Geist, ihr Kollege Andrew Munn, Bass, gibt den Körper. Beide verausgaben sich total, was der stimmlichen Intensität nicht abträglich ist. Das begeistert. Ebenso der Einsatz des Instrumentalduos, Taiko Saito und Valentin Schuster, bekannte Perkussionist*innen, entlocken den diversen Schlaginstrumenten auch melodische Klänge. Außerdem sind beide szenisch als Ärztin und Arzt im Noteinsatz.


Bezüge zu Katholizismus und Buddhismus


„Blutdruck, reiß dich zusammen!“ Die Pedale des Hometrainers geben den treibenden Rhythmus vor zur gnadenlosen Gymnastik mit Pilatesbändern und ergonomischem Sitzball. „Mein Körper ist meine Kirche“, singt der Geist, die Stimme mit Hall unterlegt. „Ich glaube an die tägliche Fitness“. Immer wieder tauchen katholische Bezüge auf, gibt es Anklänge an barocke Sakralmusik wie Cavalieris „Rappresentatione di Anima, et di Corpo“. Kommt die Yoga-Matte zum Einsatz, erklingt das Mantra „Om Shanti Shanti“. Eine Heiligung des Zusammenspiels von Körper, Geist und Seele.

Irgendwann ist der Körper und Geist trennende Spiegel zerbrochen. Doch der Körper kann nicht mehr. Er macht schlapp, Schlaganfall. Der Geist weiß nicht, wie es weitergehen soll. Mit schlechten Witzen wird der Partner aus dem Jenseits zurückgeholt. Die Rettung kommt per Post: ein Paket mit unterschiedlich großen Trompeten. Verblüffend gut spielen Sängerin und Sänger die Blasinstrumente, mit denen sie sich von den tyrannischen Notenblättern und damit aus dem Hamsterrad der Herausforderungen lösen.

Alles ein wenig naiv, vielleicht auch zu spaßig angesichts des ernsten Hintergrunds. Aber insgesamt ein szenisch wie musikalisch überraschend ereignis- und erkenntnisreicher Abend.

Neuköllner Oper, bis 14. Februar. Hier geht’s zu den Karten.


***

3. RambaZamba - Der diskrete Zwang der Bourgeoisie

"Reizende Leute, diese Boulingrins" im RambaZamba Theater © Phillip Zwanzig

„Ich heiße Schmalzfleisch. Aber nicht lachen!“ Prompt erntet der ungebetene Gast vom Dienstpersonal einen Hagel voller Spott und Häme. Und das wird bei weitem nicht der einzige Schmerz bleiben, der ihm in dem eleganten Haus blüht. Eigentlich wollte der mittellose Mensch im Schoße bürgerlicher Vollkommenheit kostenlos überwintern. Doch hinter der schmucken Fassade lauert das Grauen. Madame und Monsieur Boulingrin führen nicht nur verbal einen brutalen Ehekrieg. Schmalzfleisch gerät zwischen die Fronten. Und wird dabei zum Prügelknaben.

„Reizende Leute, diese Boulingrins (es brennt)“ basiert auf einer Farce von Georges Courteline. Recht früh, 1898 bereits, zeigte der französische Autor die Abgründe der Bourgeoisie auf. Das Bürgertum entdeckt die Lust an der Zerstörung, gerade ihrer eigenen Welt, während bereits ein Gespenst in Europa umgeht und Pflastersteine für den Barrikadenbau gehäuft werden. So jedenfalls interpretiert man den Einakter im RambaZamba in seiner Spielstätte in der Kulturbrauerei.

Das inklusive Ensemble aus Menschen mit und ohne Behinderung arbeitet seit mehr als 30 Jahren zusammen, mit großer Resonanz und künstlerischer Anerkennung. Es gibt eine Kooperation mit dem Deutschen Theater, wo einzelne Ensemblemitglieder mich zuletzt in „Der Schimmelreiter/Hauke Haiens Tod“ beeindruckten, namhafte Autoren und Regisseure wie Leander Haußmann und Klaus Pohl arbeiten mit dem spiel- und ausdrucksstarken Team zusammen. Die französische „Komödie“, bei der einem das Lachen zunehmend vergeht, hat RambaZamba-Leiter Jacob Höhne in Szene gesetzt.


Die Lust an der Zerstörung


Streicheleinheiten gibt es hier nicht. Die Aufführung ist nichts für Zartbesaitete, auch wenn mit Mitteln des Slapsticks, der Satire, der Commedia dell’arte vorgegangen wird. Der Eindringling ist hier eine junge Frau, mal aufmüpfig, mal eingeschüchtert gespielt von Rebecca Sickmüller. Das Dienstmädchen wird von zwei Schauspielern verkörpert, Tobias Kreßmann und Sascha Perthel, als Duo unschlagbar. Juliana Götze und Leo Solter geben mit arroganter Nonchalance das Ehepaar, das sich in den eigenen vier Wänden als Weltenherrscher gebart und dabei alles in Brand setzt.

Wir erleben blutige Brutalität und sexuelle Gewalt. Und zum Durchatmen diverse musikalische Einlagen, vom Tango über den Disco-Hit „Superfreak“, die Italo-Schnulze „Felicitá“ bis zu wilden Schlagzeug-Soli. Tänzerisch und sängerisch haben die Akteure so einiges drauf. Sie spielen nur die Freaks, sie sind es nicht. „Ich bin nicht auf die Welt gekommen, um mich unentwegt misshandeln zu lassen“, sagt Schmalzfleisch. Ein Satz, den man als Hinweis auf den Alltag von Menschen mit Down Syndrom deuten könnte. Doch hier sind sie nicht nur Opfer, sie können auch hart zulangen. Das ist zwar ein Nebenaspekt, trotzdem ist dieser turbulente Abend ein Bekenntnis des Selbstbewusstseins.

RambaZamba Theater, 15. und 16. Februar. Hier geht’s zu den Karten.

 

Verwendung von Cookies

Zur Bereitstellung des Internetangebots verwenden wir Cookies.

Bitte legen Sie fest, welche Cookies Sie zulassen möchten.

Diese Cookies sind für das Ausführen der spezifischen Funktionen der Webseite notwendig und können nicht abgewählt werden. Diese Cookies dienen nicht zum Tracking.

Funktionale Cookies dienen dazu, Ihnen externe Inhalte anzuzeigen.

Diese Cookies helfen uns zu verstehen wie unsere Webseite genutzt wird. Dadurch können wir unsere Leistung für Sie verbessern. Zudem werden externe Anwendungen (z.B. Google Maps) mit Ihrem Standort zur einfachen Navigation beliefert.

  • Bitte anklicken!