Heute: 1. Theater des Westens – "Romeo & Julia – Liebe ist alles" / 2. Deutsche Oper – "Arabella" / 3. Schlosspark Theater – "Biedermann und die Brandstifter"
Die Gefühle schlagen Purzelbäume. Was kann man auch anderes erwarten? Romeo und Julia sind das Liebespaar schlechthin. Dank William Shakespeares Tragödie bewegt ihr Schicksal die Menschheit seit Jahrhunderten. Das Drama um die beiden Liebenden, die nicht zueinander dürfen, weil sie zwei miteinander verfeindeten Familien angehören, erleben wir nun als spektakuläres Musical aus dem Hause Stage Entertainment.
„Romeo & Julia – Liebe ist alles“ wurde bei der Uraufführung im Theater des Westens, natürlich, enthusiastisch gefeiert. Selbst bei nüchterner Betrachtung darf man festhalten: Diese Produktion hat Hitpotenzial! Gerade weil sie sich szenisch wie musikalisch über die Konventionen der Musical-Industrie hinwegsetzt.
Der Untertitel „Liebe ist alles“ verweist auf die Vergangenheit des Autorengespanns. Peter Plate und Ulf Leo Sommer schrieben seit den 1990er-Jahren die Hits für das erfolgreiche Berliner Pop-Duo Rosenstolz. Während ein Leonard Bernstein die Geschichte in seiner „West Side Story“ in die New Yorker Gegenwart verlegte, bleibt man im Theater des Westens im Verona des 16. Jahrhunderts.
Shakespeare und Rosenstolz
Das Bühnenbild von Andrew D. Edwards erinnert ein wenig an das Rund des Shakespeare-Theaters, mal stellt es die Paläste der zerstrittenen Clans, den Capulets und den Montagues dar, dann Marktplatz oder Kirche, Liebesnest oder Gruft. Und sogar sprachlich setzt das Musical auf Shakespeare, bzw. auf die Schlegel-Tieck-Übersetzung. Nicht allen im Ensemble gehen die Verse leicht über die Lippen. Macht nichts: Die Kombination Shakespeare und Pop funktioniert erstaunlich reibungslos
Auch die Vorgängerproduktion im Theater des Westens, die Musicalübertragung der ZDF-Serie „Ku’damm 56“ (siehe Blog Nr. 384 vom 31. Januar 2022) stammte aus Feder des Autorenduos. Damals fehlte mir persönlich der Sound der 1950er-Jahre. „Romeo & Julia“ dagegen verbindet man nicht mit einer Musikrichtung. Plate und Sommer überzeugen mit stilistischer Bandbreite, die Shay Cohen mit seiner Band bravourös umsetzt.
Neben zu Herzen gehenden Liebesliedern wabern sakrale Töne, gerade wenn der Todesengel in Erscheinung tritt. Der Countertenor Nils Wanderer lässt wohl nicht zufällig Erinnerungen an den früh an Aids verstorbenen New-Wave-Star Klaus Nomi aufkommen. Dem heutigen Zeitgeist entspringt der Einfall, dass Mercutio, verkörpert von Nico Went, als schwuler Mann in Romeo verknallt ist und diese Liebe in dem starken Song „Kopf sei still“ gesteht.
Die Macht der Hormone
Liebe und Tod, Hass und Versöhnung: Dazu demonstrieren die Regie von Christoph Drewitz und die rasante Choreographie von Jonathan Huor immer wieder überbordende Lebensfreude. Und es gibt viel zu Lachen. Schier umwerfend Steffi Irmen als Julias spröde Amme, die sich über die Macht der Hormone echauffiert.
Wenn sich Yasmina Hempel als Julia und Paul Csitkovics als Romeo im Licht von unzähligen Glühbirnen näher kommen, dann schwebt auch das Publikum im siebten Himmel. Die Besetzung ist ein Glücksgriff. Beide sind sehr sportiv, energisch, selbstbewusst, kein schüchternes Liebespärchen also. Ihr Tod ist eigentlich ein Unglücksfall, weil eine Finte, ersonnen vom Pater Lorenzo (Anthony Curtis Kirby), fehlgeschlagen ist.
Wenn die Angehörigen der Montagues und Capulets am Ende in sich gehen, Feindschaft und Hass hinterfragen, dann glaubt man einen Augenblick wirklich, dass Liebe in der Lage ist, alle Grenzen zu überwinden. Schön wär’s.
Theater des Westens, 2., 12., 16. und 25. April. Hier geht’s zu den Karten.
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Graf Waldner hat sich verzockt. Ausgerechnet am Spieltisch versucht der verarmte Adelige der pekuniären Bredouille zu entkommen, in die er durch seine Spielsucht geraten ist. Ein Trumpf bleibt der verarmten Familie: Arabella, die schöne Tochter. Sie will man gewinnbringend verheiraten. Dafür residiert man im Nobelhotel, das man sich gar nicht leisten kann, dafür wird das Mädchen standesgemäß ausstaffiert. Für Zdenka, die jüngere Schwester, reichen da die Mittel nicht. Sie muss sich, damit die finanzielle Not nicht auffällt, als Junge ausgeben.
Für Arabella interessiert sich tatsächlich eine Reihe vermögender Herren. Aber sie hat ihren eigenen Kopf, sie wartet auf „den Richtigen“. In Mandryko, einen reichen Adeligern aus der slawonischen Provinz, scheint sie ihn zu finden. Doch die Liebe wird auf eine harte Probe gestellt, durch Irrungen und Wirrungen, an denen die verkleidete Schwester nicht schuldlos ist.
„Arabella“, am 1. Juli 1933 in Dresden erstmals gespielt, ist die letzte gemeinsame Oper von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal. Traditionell wird die Lyrische Komödie gern als Verwechslungsstück mit einem Schuss Operettenseligkeit à la „Fledermaus“ kredenzt. Tobias Kratzer, angesagter Opernregisseur und künftiger Intendant der Staatsoper in Hamburg, will deshalb so einiges zurechtrücken. An der Deutschen Oper Berlin startet er mit „Arabella“, gefolgt von „Intermezzo“ und „Frau ohne Schatten“, einen Strauss-Zyklus. Um traditionelle Rollenbilder von Mann und Frau geht es. Auch um Geschlechteridentität: Die als Mann verkleidete Zdenka liebt heimlich ihren Kumpel Matteo und wird ihn schließlich verführen.
Liebesnacht mit Folgen
Nicht nur die Personen entwickeln sich unter Kratzers fein zeichnender Regie. Wir verfolgen mehrfach eine Zeitenwende, vom Wien der k.u.k.-Monarchie über die Roaring Twenties, die Nazizeit bis ins Heute, nachvollziehbar an mitunter opulenten Bildern und Kostümen (Reiner Sellmaier, Clara Luise Hertel). Man weiß gar nicht, wo man zuerst hinschauen soll. Ein ganzes Kamerateam filmt die Protagonisten. Großaufnahmen in Schwarzweiß im Splitscreen offenbaren geheime Gedanken, vor allem die Gefühlswelten der Zdenka, die auch dank der brillant agierenden und singenden Sopranistin Elena Tsallagova heimliche Hauptfigur ist.
Volle Breite offeriert das Bühnenbild im zweiten Aufzug, diesmal ohne Filmsequenzen, wir blicken in einen Flur beim Faschingsball, der zugleich Arabellas Junggesellinnen-Abschied sein soll. Zu Beginn des dritten Aufzugs sehen wir zum berühmten frivolen Orchestervorspiel ein Video von Zdenkas Liebesnacht mit Matteo, der sich im dunklen Gemach in den Armen der von ihm verehrten Arabella wähnt. Als offenbar wird, wer wirklich mit wem das Lager teilte, bringt das für alle Betroffenen enorme emotionale Herausforderungen.
Eine aufwändige Opernproduktion, die bei der Premiere Jubel, aber auch Proteste erntete. Mir hat es im Großen und Ganzen gefallen. Dazu durchweg wunderbare Stimmen, trotz der Krankheitsprobleme im Vorfeld. Sara Jakubiak, mittlerweile die dritte Arabella, überzeugte mit darstellerischer Souveränität (nach nur einer Woche Proben) und warmem Sopran. So wie alle Beteiligten in ihrem Spiel von Kratzers Personenregie profitieren, so lebt der Gesang vom deliziösen Strauss-Sound, den GMD Sir Donald Runnicles mit dem gut aufgelegten Orchester zaubert.
Deutsche Oper Berlin, 30.März., 1. und 6. April. Hier geht’s zu den Karten.
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Haben Sie mal Feuer? Bei dieser Frage ist höchste Vorsicht angebracht. Gerade wenn der eigene Dachboden voll gestellt ist mit Benzinfässern. Den explosiven Stoff haben zwei zwielichtige Gesellen nach oben gebracht, angeblich Obdachlose, die es sich seit einigen Tagen in der Villa des Herrn Biedermann bequem machen. Dass zwei Feuerteufel unterwegs sind, die sich als Tippelbrüder ausgeben, weiß der Hausherr aus der Zeitung. Doch Gottlieb Biedermann, der Haarwasserfabrikant, lässt sehenden Auges das Unheil auf sich zukommen.
Nicht das Schicksal, sondern Ignoranz, Feigheit und die menschliche Dummheit sind die Ursache für die Katastrophe. Denn die Brandstifter machen sich nicht mal die Mühe, ihren bösen Plan zu kaschieren. Die beste Tarnung sei komischerweise immer noch die blanke und nackte Wahrheit, schreibt Max Frisch. „Die glaubt niemand.“ Insofern ist „Biedermann und die Brandstifter“ nach wie vor brennend aktuell.
Das „Lehrstück ohne Lehre“, 1958 in Zürich uraufgeführt, ist längst ein moderner Klassiker. Kaum zu glauben, dass es im Schlosspark Theater nie gelaufen ist. Bis jetzt: Mit, alle Achtung, 88 Jahren überzeugt Dieter Hallervorden als braver Bürger, der als Chef den harten Hund mimt, seinen Angestellten feuert und in den Selbstmord treibt, aber angesichts der Gefahr in seinem Haus den kumpelhaften Duckmäuser gibt.
Hallervorden gibt den Spießer
Mit Scheitel und hässlicher Brille könnte Hallervorden aus einem seiner früheren TV-Sketche entsprungen sein. Aber es passt genau zu dem Spießer, der hier als Villenbesitzer in Steglitz-Zehlendorf auftritt, an der Seite von Christiane Zander, die auch im wirklichen Leben seine Frau ist. Ein bisschen Lokalkolorit darf sein. Wenn Frisch Hofmannsthals „Jedermann“ zitiert, heißt es, das hätte man doch schon mal im Berliner Dom gesehen, mit Brigitte Grothum…
Philip Tiedemann, mittlerweile fast schon Hausregisseur, bringt die anderthalbstündige Fassung souverän auf die Bühne. Neu erfinden will er das Stück nicht. Man könnte es ja auch, um es überspitzt zu formulieren, mit sechs Biedermännern und Biederfrauen sowie Brandstifter*innen spielen. In Steglitz bleibt man traditionell und baut dabei auf ein versiertes Ensemble. Auf der einen Seite die braven Hausbewohner, zu denen neben den Biedermanns das Dienstmädchen Anna zählt, gespielt von Dagmar Biener, die als einziges Zeichen des Protestes ständig ihr Pony in die Höhe pustet.
Im schroffen Gegensatz dazu, grotesk überzeichnet, die beiden Brandstifter. Georgios Tsivanoglou verkörpert Schmitz, den Ringer, schmerbäuchig, schrecklich haarig und vor Selbstmitleid triefend. Elegant und eloquent dagegen Mario Ramos als sein Kumpan, der Kellner Eisenring, der immer wieder in ein wahnsinniges Lachen ausbricht. Zusammen bringen sie Gottlieb Biedermann soweit, dass er ihnen beim Ausmessen der Zündschnur hilft und sogar die Streichhölzer liefert.
Als alles abgefackelt ist, finden wir die Betroffenen mit angekokelten Klamotten in der Hölle wieder. Keine Einsicht, kein Einräumen von Mitschuld auch hier. Nur Rechtfertigungsversuche, die uns, politisches Unheil betreffend, sehr bekannt vorkommen.
Schlosspark Theater, bis 30. April. Hier geht’s zu den Karten.
1. Theater an der Parkaue Werden und Vergehen auf insektisch
2. Theater an der Parkaue Aufruf zum Widerstand
3. Berliner Ensemble Allein zwischen den Fronten
1. Gorki Architekten müssen träumen
2. Schlosspark Theater Lustige Märchenspielerei
3. Volksbühne Bunter Abend mit Schlachteplatte
1. Kleines Theater Schauspiel vom Feinsten
Renaissance-Theater Bitterböse, aber zu komisch
3. Grips Für getrennte Eltern und getrennte Kinder
1. Vaganten Nathan abgespeckt und aufgepeppt
2. Berliner Ensemble Remmidemmi ohne Ende
3. Atze Musiktheater Ernst gemeint im Spiel
1. Staatsballett Zwischen Laufsteg und Happening
2. Gorki Kafka wird der Prozess gemacht
3. Hans Otto Theater Vom Tod eines Unsterblichen
1. Deutsches Theater Mit Fellini zum CSD
2. Neuköllner Oper Die korrekte Strenge des Gesetzes
3. Hans Otto Theater Die Mondäne auf der Endmoräne