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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 509

Kulturvolk Blog | Ralf Stabel

von Ralf Stabel

17. Februar 2025

Heute: 1. Chamäleon – "People Watching: Play Dead“ / 2. Volksbühne – „Weiße Witwe“/ 3. Deutsches Theater – „Wasteland: Peter Pan“

1. Chamäleon - Mitreißend vital

"People Watching: Play Dead" im Chamäleon © Chamäleon Berlin Anna Fabrega

Es ist das eindrücklichste Theatererlebnis, das ich seit Jahren hatte. Mir fehlen in meinem Vokabular die zutreffenden Worte, um beschreiben zu können, was auf der Bühne des Chamäleons passiert. Acht Artisten, drei Frauen und fünf Männer, präsentieren zeitgenössischen Zirkus. Aber was heißt das? In einem Bühnenbild, das vage an Bernarda Albas Haus, die Kameliendame oder die Möwe erinnern könnte, werden in bester Theatertradition die Protagonisten vorgestellt. Und hierbei wird deutlich: Es sind allesamt tanzende Artisten und artistische Tänzer. Warum das Stück „Play Dead“ heißt ist mir ein Rätsel, weil sich die Künstler mit einer unerhörten Virtuosität und Vitalität dreidimensional über die Bühne jagen. Bemerkenswert erscheint mir, dass es sich bei dieser Inszenierung um ein Erstlingswerk von „People Watching“ handelt und dass sie es gemeinsam als Kollektiv gestaltet haben.

Jede und jeder der Darsteller hätte es verdient, einzeln vorgestellt zu werden. Das Foto vermittelt einen Eindruck von der Dynamik des Geschehens.

In immer neuen und völlig unvorhersehbaren Bewegungsarrangements, die alle Bewegungs-Stile über den Haufen werfen und doch gleichzeitig mischen, entwickelt sich eine rasante Bühnenhandlung, in der es durchaus Beziehungen gibt, in der aber keine Geschichte erzählt wird. Das Geschehen ließe sich vielleicht mit kafkaesk, Chaplin-like oder auch einfach als skurril erfassen. Dass geschickt gesetzte Bewegungspointen auch Heiterkeit hervorrufen, sei hier nicht nur am Rande erwähnt.
Auch klassische artistische Darbietungen werden ins Geschehen integriert. Das wird choreo-logisch, also so passend in den Bewegungsfluss eingeflochten, dass man es als ganz selbstverständlich empfindet und nicht als zirzensische „Nummer“ wahrnimmt.

Auch die Musikauswahl ist so sensibel, dass sie lediglich an szenisch-dramaturgischen Höhenpunkten wirklich durchbricht. George Bizet's Habanera "L'amour est un oiseau rebelle" wird mit thematischem Bezug in Bewegung übersetzt wie auch „Le Cygne“ aus „Le carnaval des animaux“ von Camille Saint-Saëns – eine Komposition, die insbesondere durch Anna Pawlowa als sterbender Schwan bekannt wurde.

Das fulminante Finale des ersten Teils wird mit dem Klavierkonzert Nr. 1 von Peter Tschaikowsky gestaltet. Alle Darsteller fliegen nur so durch den Raum, eine geschickt gelenkte Deckenlampe lässt lediglich Momentaufnahmen in dem ansonsten dunklen Raum zu. Assoziationen an Apokalypse und Weltuntergang drängen sich bei diesem infernalischen Geschehen geradezu auf. Man fragt sich, wie sich die Darsteller hier eigentlich noch orientieren können.

Nach dem zweiten, ruhigeren Teil wird der Abend mit einem Bewegungsarrangement beendet, das ich mit Kommen und Gehen, mit Werden und Vergehen umschreiben würde. Poetisch, berührend, einprägsam.
Diesen Abend müssen Sie sehen, wenn Sie etwas wirklich Auf- und Anregendes nicht verpassen möchten!

Chamäleon Theater/ Hackesche Höfe, bis 1. Juni. Hier geht’s zu den Karten.


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2. Volksbühne - Männer mordend

"Weiße Witwe" in der Volksbühne © Apollonia T. Bitzan

Weiße Witwe“ von Kurdwin Ayub (Text und Regie) ist eine enorme Provokation. Und das betrifft Thema, Setting und das Bühnengeschehen gleichermaßen. Wir befinden uns im Jahr 2666 im islamischen Staat Europa. In Anlehnung an die Spinne „Schwarze Witwe“, die während des gesamten Geschehens drohend über der Bühne hängt, lässt „die vollbusige und kluge“ Königin Aliah (addeN) ihre Liebhaber nach dem Sex ermorden. So die Ausgangslage.

Daraus entwickelt sich ein Generationen-Konflikt mit ihrer Tochter Cezaria (Samirah Breuer), die das Verhalten der Mutter scharf kritisiert. Wie die beiden nun – in Tateinheit mit dem stets zu Diensten stehenden Eunuchen (Benny Claessens) – ihre Argumente austauschen, ist eine Lawine von Fäkal-Sprache, wie ich sie so noch nie im Theater erlebt habe. Das Volksbühnen-Publikum amüsiert sich prächtig.

Gerade als die Häscher der Königin Schwierigkeiten bekommen, weitere weiße junge Männer aufzutreiben, meldet sich der alte weiße Mann (Georg Friedrich) freiwillig zum Sex-Dienst, um „die Mordsucht der Königin zu stoppen und seine Rasse zu retten“. Als männliche Scheherazade versucht er es mit Geschichten-Erzählen. Tochter Cezaria ist interessiert, weil man doch aus Geschichte etwas lernen könne. Aber die Idee geht nicht auf, sodass er der Königin kurzerhand auf offener Bühne die Kehle durchschneidet. Die Tochter übernimmt das Königshaus, aber auch sie bringt er später um. Schließlich herrschen der alte weiße Mann und der Eunuch gemeinsam – bis sich die nächste Revolte ankündigt. Ausgang ungewiss.

Diese Dystopie, diese Zukunfts-Horror-Vision ist eine scharfe Satire-Show, eine trashige Polit-Parodie, in der multiperspektivisch alles und alle ihr Fett abbekommen: Religionen und Kulturen, Verhaltensweisen und Ansichten werden mit Text und Tanz, mit Bühnen- und Kostümbild (Nina von Mechow), vor allem aber mit einem Sprachgestus vom Feinsten auf die Schippe genommen.

Für anmutige und dramatische Bewegung auf der Bühne sorgt der Tanzchor SC Motion*s in der Choreografie von Camilla Schielin. Zwölf junge Leute umrahmen und persiflieren die Auseinandersetzungen der Protagonisten gleichermaßen.

Theater – Bühne und Publikum – ist hier im besten Sinn Spiegel seiner, also unserer Zeit: Eine Spaß- und Konsumgesellschaft macht sich lustig und lacht sich kaputt – bis zu dem Punkt, an dem die Sache mit den Attentaten und dem „Märtyrer-Tod“ thematisiert wird. Da herrscht mit einem Mal Stille im Saal. Da wird deutlich: die Lage ist ernst.
Es ist ein hartes und ein heiteres Stück gleichermaßen, es ist böse und mutig. Es ist ein Stück über Extreme, Extremisten und Extremismus. Ein wichtiges Stück über unsere Zeit.
Aber nichts für schwache Nerven.

Volksbühne, bis 14. April. Hier geht’s zu den Karten.


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3. Deutsches Theater - Morbider Charme

"Wasteland: Peter Pan" im Deutschen Theater © Jasmin Schuller

Bei der Lektüre des „Peter Pan“ von J. M. Barrie aus dem Jahr 1904 beschlichen mich als Erwachsenen ungute Gefühle. „Wasteland“ von T. S. Eliot von 1922 hinterließ bei mir viele Fragen. Wer nun eine szenische Kombination beider Texte unter der künstlerischen Leitung von Alexander Eisenach und Jan Jordan erleben möchte, wäre in der Kammer des Deutschen Theaters an der richtigen Stelle. Dort wird dieses Experiment gewagt.

Über allem lagert eine seltsam depressive Atmosphäre. „Dies ist die letzte Nacht, alle müssen sterben“, ist die erste Information des Abends. Schauerlich.

In einem auf der Drehbühne montierten Bühnenbild (Bühne: Kathrin Frosch), bei dem zumindest ein Raum aussieht wie ein Swimming-Pool, begegnen sich die Protagonisten. Allen voran Lenz Moretti als Peter Pan und Lorena Handschin als Wendy. Die Eltern (Natali Seelig und Jonas Hien) leben in einem Käfig. Zwanghaft und permanent rechnet der Vater und kommt zu dem schrecklichen Schluss, dass sie sich die Kinder bald nicht mehr werden leisten können. Frieder Langenberger ist als Fabelwesen in Tutu und High Heels zu erleben.

Irgendwann werden die Wände hochgezogen. Warum? Ich weiß es nicht.

Das ursprüngliche Theaterstück hieß „Peter Pan oder Der Jungeder nicht erwachsen werden wollte“. „Die Kunstfigur des Peter Pan avancierte seither zum Symbol-Bild für ewige Jugend und die Sehnsucht, niemals erwachsen werden zu müssen“, heißt es in der Ankündigung des Theaters.

Der Peter Pan aber, der dann hier auf der Bühne zu erleben ist, ist ein Schreck-Gespenst.
Ganz in Rot, kommt er so gar nicht als ewig jugendlich daher. Er wirkt eher wie das im Keller gealterte Abbild des Dorian Gray – ein Wesen, das das Altwerden verweigert. Es ist etwas Monströses und Verführerisches, etwas Teuflisches und Manipulatives in seinem Wesen. Er ist ein Outsider, vielleicht sogar ein Outlaw. Am Ende wird er sterben.

Die Inszenierung, die ursprünglich anders geplant war (die Regisseurin hatte hingeworfen), konnte durch eine kollektive Arbeit der Darsteller doch noch auf die Bühne kommen. Ihr haftet etwas Unfertiges, Unverständliches an. Das muss nicht schlecht sein. Wer gern Rätsel löst, könnte sich dieser Herausforderung stellen.

Vor mir saßen Jugendliche einer Gymnasial-Klasse, die dem Bühnen-Geschehen aufmerksam und atemlos folgten. Theater hat Zukunft; Theater ist Zukunft.

Deutsches Theater, Kammer; 28. März. Hier geht’s zu den Karten.

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