HEUTE: 1. Schaubühne – „changes“ / 2. Gorki Theater – „Café Populaire Royal“/ 3. Theater am Frankfurter Tor– „My Way“
Ein Paar, mitten im Leben eher wankend statt stehend, still an Midlifecrisis leidend. Die Ehe nach zwei Jahrzehnten längst fad, noch aber beherrscht freundschaftlich. Nina (Anna Schudt), Politikerin und Kämpferin für die Rettung eines Frauenhauses, hat mehrere Fehlgeburten hinter sich; Mark (Jörg Hartmann), studierter Wirtschaftsanwalt, ein Burnout mit zu viel Alkohol sowie dem nüchternen Umstieg als Grundschullehrer. Zwei wache Zeitgenossen mit sehr viel angestrengt gutem Willen, jeweils das ihre zu tun vor Ort, um wenigstens ein bisschen beizutragen für Veränderung. Für „changes“ hin zum Besseren.
So starten die beiden in den Tag, wir folgen ihnen: Büro, Lehrerzimmer, Zoologischer Garten, Friseur, Frauenhaus, Fernsehstudio, Treff der anonymen Alkoholiker… Und überall moralische Zwickmühlen, nervenzerrende Entscheidungen, Kompromisse zwischen gut und faul, umrankt von Versagensängsten, Unerfülltsein, Seelenqual.
Bürgerlicher Alltag zwischen Frühstück und Abendbrot
Maja Zade liefert in ihrem neuen Stück „changes“ ein Kompendium kleiner, auch kleinlicher, großer, auch größter ungelöster Konfliktlagen beruflich wie privat, die das durchaus konfliktbewusste Paar beschwert bis an den Rand zur Unerträglichkeit.
Bürgerlicher Alltag zwischen Frühstück und Abendbrot, von der Autorin präzis skizziert und aufgeblättert in einem Leporello vieler kurzer, komischer, sarkastischer, bitterer oder trauriger Szenen an unterschiedlichsten Orten mit einer Fülle gegensätzlicher Figuren, die alle – der Clou der Inszenierung von Thomas Ostermeier – gespielt werden von Anna Schudt und Jörg Hartmann.
Auf der weiten, bis auf Kühlschrank, Sofa, Tisch und Kleiderständer leeren Bühne (Magda Will) breitet das hochberühmte Dortmunder Ex-Tatort-Paar Schudt-Hartmann perfekt arrangiert virtuose Verwandlungs- und Einfühlungskunst aus, die freilich zuweilen das unfreiwillig Parodistische streift im rasenden Wechsel von Kostüm und Perücke.
Schattenrisse, Stichworte
Das Füllhorn der Szenen und Figuren (insgesamt 23) mag spektakulär sein, doch reicht das kaum aus für tiefergehende Charakterzeichnungen. So bleiben Schattenrisse. Oder Stichworte für weiterführende Assoziationen. Die Autorin, deren Stücke ansonsten bekannt sind für dramatische Steigerungen und scharfe Wendungen ins Tragische, rollt jetzt zwei Stunden lang ätzend gleichmütig einen Flickenteppich der Vergeblichkeit, der Depression und Daseins-Melancholie aus. Bonjour Tristesse Berlin. Und keine guten Aussichten. Dafür die Demonstration brillanter Schauspielerei.
Leider sind alle Vorstellungen bis Ende Januar ausverkauft. Wir hoffen auf spätere Termine.
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Am Bahnhof Zoo, unter Bücken oder Torbögen: Das Elend der Süchtigen und Obdachlosen – nur rasch vorbei sturen Blicks. Mit peinlich gemischtem Gefühl aus Naserümpfen, Verachtung und achselzuckendem Mitleid. Das Bürgerliche in uns trifft auf seinen Gegensatz draußen. Zwei Welten, und wir stehen dazwischen – was für ein dramatischer Stoff. Nora Abdel-Maksoud packt ihn – komödiantisch! – in ihrer Farce „Café Populaire“. 2018 fürs Zürcher Neumarkt-Theater gemacht, tourt sie seither durch die deutschsprachigen Länder. Jetzt hat sie, fürs Gorki, das Ping-Pong der entlarvend bösen Sottisen über die, die oben grinsend hocken und die, die saufend unten liegen im Dreck, Berlinisch aufgemischt unter aufgedonnert neuem Titel „Café Populaire Royal“.
Da sind die Kulturaktivistin Svenja (Aysima Ergün), die als Bespaßungsclown im Mariendorfer Hospiz jobbt, und Dienstleistungsproletarier Aram (Amanda Babaei Vieira). Beide bewerben sich um den „Spatz“, Mariendorfs Edelkneipe für Knödel und Kleinkunst mit heiß begehrter Einliegerwohnung und alternativkulturell sozialem Konzept. So preist man denn gefallsüchtig dementsprechende Kompetenz.
Dabei kommt es zu bis ins Absurde getürmten Witzkaskaden über Gutmenschen-Spießer, Kulturbürger, Salonrevolutionäre, Prolls oder Unterschichten-Assis. Klar, da fallen genug provokante Stichworte zum Eingreifen für Oma Pippi (Cigdem Teke), altbolschewistische Hospizerin, sozialisiert in der Roten Zelle der FU-Germanistik.
Mit lustvollem Zynismus gegen Phrasen
Dem Trio gegenüber wiederum steht Don (Yanina Zeron), die interessante Figur einer „Abspaltung“ von Svenja. Sie schimpft: „Meine innere Arschlochstimme!“ Die nämlich kontert mit lustvollem Zynismus Svenjas behauptetes Gutmenschentum. Und obendrein all das „antidiskriminatorische“ Getue der Drei mit ihrer aufgesetzten Einfühlerei ins schlimme Dasein der Unterschicht. Hämisch trällert sie allem wohlfeilen Linkssein zum Trotz noch ein Lob der Gentrifizierung und des neoliberalen Fortschritts. So stellt die ätzende Arschlochstimme in uns allen jede Menge ideologische Phrasen bloß, kühlt hitzigen Wahn.
Soweit das nicht unkompliziert konstruierte kabarettistische Grundgerüst der spitzen Worte und durcheinander gewälzten Diskursbrocken ums Populistische von links bis rechts. Leider hatte Regisseur Nurkan Erpulat die Idee, die fürs Brettl (oder Studio) pässliche Chose auf große Bühne zu ziehen. Und den falschen Ehrgeiz, sie mit reichlich Klamauk und Trallala klamottig breitlatschen und in Leerstellen auslaufen zu lassen. Klar Gedachtes verschwimmt, Schärfe wird stumpf. Unübersichtlichkeit wuchert. Doch immerhin; als Rausschmeißer wird uns noch eine bissige Bemerkung an den Kopf geknallt: „Warum man hier so gut Witze über Arme machen kann? Weil sie sich die Karten eh nicht leisten können.“ – Oder wollen, könnte man hinzufügen.
Maxim Gorki Theater;4., 31. Januar 2025. Hier geht’s zu den Karten.
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Rechts vom Podium ein Foto: Sinatra überlebensgroß. Schwarzer Anzug, weißes Hemd, Krawatte locker. Den Trenchcoat lässig über die Schulter geworfen und ein Hütchen keck in den Nacken geschoben mit einem Lachen: He, was kostet die Welt…!
Da trottet Johannes Hallervorden lässig in den Saal, weißes Smoking-Jackett, Krawatte korrekt und mit Hütchen. Die Band spielt leise „My Way“. Er hält kurz inne vor dem Porträt des Weltstars, dessen Hits er nun singen wird, stellt grinsend die ikonische Pose nach, schiebt den Hut in den Nacken, knappe Verbeugung vor diesem Kerl, vor dieser Legende mit dem Etikett „Stimme Amerikas im 20. Jahrhundert“. Und trällert „Fly Me To The Moon“.
Was für ein cooler Einstieg, von der intelligenten Regie Peter Fabers ausgetüftelt. Sie meint: Hallervorden singt Sinatra, versucht aber nicht, ihn zu kopieren. Er trägt ihn mit sich im Kopf (womöglich auch im Herzen), bleibt aber ganz bei sich. Mit einer Portion Chuzpe, wie sich das gehört (ansonsten müsste man es lassen). Und mit eigener Art Einfühlung in die Musik, den Sound, Rhythmus, Text. Alles ist Sinatra und alles Hallervorden-Ton. Was diesen Abend so souverän macht. So grundsympathisch.
Start in die Zeit der Big Bands
Francis Albert Sinatra, Sohn sizilianischer Einwanderer, aufgewachsen in Hoboken, New Jersey, am Hudson mit Blick auf Manhattan, war schon als Teenager – es ist die Ära der Big Bands – fasziniert von den Konzerten in Sälen und zu Hause im Radio und den Platten fürs Grammophon: Bing Crosby war sein Idol. Sein Vorbild. Sein Ziel schon als Teenager: Singen und berühmt werden.
Eine Talente-Show gab den Startschuss: Erste Platte, sogar im Radio gesendet. Dann Einstieg ins Orchester von Tommy Dorsey, ins große Live-Business. Man lernt sich kleiden, sprechen, Gesangstechnik, Geschäftssinn. „Bei einer Big Band zu singen ist wie Gewichtheben. „Man kommt in Form“, bekennt er. Sein Weg vom Band-Sänger zum Solisten war kurz und steil. Jubel in der Presse: „Seit Bing Crosby der Größte!“ A star was born.
Verführerischer Egomane
Die Nummern der Show folgen im wesentlichen dem Lebenslauf von „The Voice“, so das singuläre Signum, das ihm die konkurrenzreiche Branche des Entertainments gab. Einem Leporello gleich werden Höhe-, aber auch Tiefpunkte dieser Karriere aufgeblättert. Knappe Zwischentexte – Fakten, Daten in Stichworten, Presse-Zitate, Selbstzeugnisse des Künstlers, Anekdotisches (Buch: Wolfgang Seppelt). Im Ping-Pong mit den seit Generationen gesummten Ohrwürmern.
So sausen wir animiert durchs egomanische Leben des verführerischen Lebemanns. „Seit den Zeiten Rudolf Valentinos hat die Weiblichkeit keinen Entertainer derart hemmungslos öffentlich geliebt“, schrieb The Time Magazin. Bestaunen diverse Bruchstücke der Chronik seines Ruhms: Etwa die „Night-and-Day“-Tour mit Eröffnung des Palladiums in L.A. (80.000 Zuschauer), die Hollywood-Filme (ein Fünfjahresvertrag, Wert: 1,5 Millionen Dollar); die Auftritte vor US-Soldaten in Italien im Zweiten Weltkrieg; sein Singen gegen Rassendiskriminierung in Amerika; die vielen Platten, Filme, Frauen, Ehen, die zweifelhafte Vaterfigur.
Ich tu, was mir passt
Und dann der Whisky, die Stimmbandprobleme. Das trotzige Behaupten des alten Romantikers gegen den blindwütig verabscheuten Rock‘n‘ Roll der jungen Wilden (Bill Haley, Chuck Berry, Elvis etc.). „Ich werde tun, was mir passt. Ich brauche niemanden auf der Welt.“ Und schließlich: Zwei Jahre Abschiedstournee: „Ol‘ Blue Eyes“ – „Alte blaue Augen“ in Riesenhallen, Stadien; allein in London verkaufte Tickets 15000, die Nachfrage: 35000. Doch 1998 ist Schluss; im 83. Jahr. Tod in L.A. nach zweitem Herzinfarkt.
„Night and Day“ – was für ein Weg! Hallervorden als Moderator mit leiser Ironie und als Sänger mit Grips und Herz für die Stimmungen der Songs. Dazu die Vierer-Band unter Leitung von Carly Quiroz mit exzellenten Arrangements und überraschend fülligem Sound. Das Publikum ist berührt. Und hemmungslos begeistert.
Theater am Frankfurter To., bis 15. Februar. Hier geht’s zu den Karten.
1. Schaubühne Daseinsmüdigkeit
2. Gorki Aufgespießt – Populistisches von links und rechts
3. Theater am Frankfurter Tor „I did it my way“
1. Deutsche Oper Augen zu und durch
2. Komische Oper Fressen und gefressen werden
3. Komische Oper Böse Hexe, gute Hexe
1. Berliner Ensemble Rockerin mit Grips und Witz
2. Deutsches Theater Kurzer Blick in Abgründe
3. Theater im Palais Charme als Pille gegen Depression
1. Theater an der Parkaue Werden und Vergehen auf insektisch
2. Theater an der Parkaue Aufruf zum Widerstand
3. Berliner Ensemble Allein zwischen den Fronten
1. Gorki Architekten müssen träumen
2. Schlosspark Theater Lustige Märchenspielerei
3. Volksbühne Bunter Abend mit Schlachteplatte
1. Kleines Theater Schauspiel vom Feinsten
Renaissance-Theater Bitterböse, aber zu komisch
3. Grips Für getrennte Eltern und getrennte Kinder