HEUTE: 1. Gorki Theater – „Linkerhand“ / 2. Schlosspark Theater – „Der Drache“ – / 3. Volksbühne – „Method“
Schöner bauen, schöner wohnen, besser leben – da hüpft das Herz der Jungarchitektin Franziska Linkerhand! Denn „am Arsch der DDR-Welt“ wird gleich eine ganze Stadt aus dem Boden gestampft. Da kann man radikal neu planen! Für die werktätigen Massen von „Schwarze Pumpe“, dem sozialistischen Großprojekt der Braunkohleveredelungsindustrie bei Hoyerswerda. Da will Franziska dabei sein. Will ihre Träume verwirklichen von einer modernen lebenswerten Stadt, die doch so sehr viel mehr sein soll als das bloße Aneinanderreihen von mit vier Wänden umstellten Gehäusen.
Aber sie weiß, dass es schwer sein wird mit der Synthese. Nämlich das Notwendige (schnell in seriellen Blöcken viele Wohnungen hochziehen) spielerisch in Einklang zu bringen mit einem lebendigen, schönen Ganzen. – Doch das angeblich Unmögliche zu versuchen sei besser als nichts zu tun. Architekten müssten träumen, sonst sei alles nichts. Dafür steht Franziska.
Doch die Realitäten schlagen brutal zurück. Die Träume der Linkerhand werden vom notorischen Druck des Mangels („überall organisierter Pfusch“), vom Opportunismus der lieben Kollegen und ideologischen Betonköpfen zunichte gemacht („übrig bleibt Billig-Standard wohin du siehst“).
Wut und Lebensgier
Von diesem jugendlichen Sturm in eine neue Welt des Bauens, einhergehend mit dem Aufbruch in eine neue gesellschaftliche Zeit, und vom kläglichen Abriss aller leidenschaftlich gehegten Ideale handelt der biografisch grundierte Roman „Franziska Linkerhand“ von Brigitte Reimann, einem Schlüsselwerk der DDR-Literatur, an dem die Autorin ein Jahrzehnt lang arbeitete. Es erschien 1974, ein Jahr nach ihrem frühen Krebstod mit 39 Jahren. Freilich arg bearbeitet und drastisch gekürzt von der Zensur, was erst die Neuauflage von 1994 offenlegte.
Trotzdem: Die Figur der lebensgierigen, liebeshungrigen, zwischen Wut und Tränen kämpferischen und dabei bezaubernden Franziska, verbunden mit den erschütternden Schilderungen des trostlosen Alltags der Arbeiterklasse von Schwarze Pumpe im grauen Neustadt (Gewalt, Suizide, Suff) – Reimanns schonungslos packender Realismus machten ihr Opus Magnum selbst in seiner obrigkeitsstaatlichen Beschneidung zum Kultbuch. Es wurde sogar von der Defa verfilmt; mit der unvergessenen Simone Frost in der Titelrolle.
Kein Wunder, dass dieses Schicksals- und Sehnsuchtswerk noch heute gern adaptiert wird fürs Theater. Jetzt wieder im Gorki von Sebastian Baumgarten.
Regiekonzept bremst Drama aus
Seine Grundidee: Er spaltet die Titelfigur auf in drei Schauspielerinnen unterschiedlichen Alters: Katja Riemann, Maria Simon, Alexandra Sinelnikova. Das wiederum verhindert die aufregende Darstellung der den gesamten Roman durchziehenden Sisyphus-Tragik: Das trotzige Anrennen gegen immer neue Mauern der Vergeblichkeit – privat in der Liebe und Freundschaft wie im Beruf, im Politischen.
Franziskas lustvolles, geradezu besessenes Verlangen, sich durchzusetzen, sich zu behaupten und glücklich zu sein, das bleibt bloß annonciert. Auch durch die ungeordnete Auswahl verschiedener nur knapp angespielter, sketchartiger Szenen mit Stich in die Karikatur: Die Frauen solistisch, zu zweit oder dritt; die unterschiedlichen männlichen Gegenspieler Alesandar Radenkovic, Falilou Seck, Till Wonka vornehmlich als Stichwortgeber. Baumgartens abstrahierendes Regiekonzept genügt sich im plakativen Ausstellen des altbekannten Widerspruchs zwischen Utopie und Wirklichkeit am Beispiel Neustadt (und DDR). In einem zeichenhaften Bühnenbild des amerikanischen Architekten Sam Chermayeff, das im Auf und Ab spröder Plattenbaufertigteile steckenbleibt.
Das nüchtern Lehrstückhafte der Inszenierung wird noch unterstrichen durch einen flinken Ritt per Video durch die Geschichte des Städtebaus in der Moderne; angefangen bei Oscar Niemeyer und Le Corbusier mit seiner Charta von Athen 1930. Es illustriert das in der DDR geflügelte Wort vom seriellen Wohnungsbau als Bereitstellung von „Arbeiterschließfächern“ – oder „Fickzellen mit Fernheizung“, wie Heiner Müller einst lästerte.
Hätte man lassen sollen und stattdessen das Drama packen. Doch Baumgarten wollte Analyse, Abstraktion, keine Tragödie der Leidenschaften. Dabei stand eine Koryphäe wie die Riemann im Ensemble. Vertane Chance, sie ungestüm ausspielen zu lassen, was Reimann ihrer Linkerhand, diesem kühnen, herrlichen Kind, in den Mund legte: „Wenn man ein Bild von mir malen sollte, dann als wildes Pferd.“ Was für eine Rolle…!
Bis zum Jahresende sind alle Vorstellungen ausverkauft. Aber auch im neuen Jahr wird „Linkerhand“ auf dem Spielplan stehen.
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Seit 400 Jahren schon beherrscht ein Drache die Stadt; terrorisiert, beutet aus, verlangt Menschenopfer. Die unterwürfige Bevölkerung hat sich längst an ihn gewöhnt, fügt sich in die Not. Eines trüben Tags aber kommt forsch ein Bursche vorbei. Er heiße Lanzelot; von Beruf sei er „Held“. Er werde den Drachen töten, die Stadt befreien und die stille schöne Elsa retten, das vom Drachen alljährlich geforderte Opfer. Lanzelot (Fabian Stromberger) kämpft und siegt, schwer verwundet. Der opportunistische, kriecherische Bürgermeister reißt die Macht an sich und lässt sich vom Dummvolk als „nächster Drache“ feiern.
Lanzelot, weitab in den Bergen, wird von „guten Tieren“ gesund gepflegt, kehrt zurück, fegt die Bürgermeisterei hinweg, reißt die krummen Rücken der Leute hoch und heiratet Elsa.
Politisch brisant, poetisch kunstvoll
Es sind die finsteren Jahre 1943/44, in denen der russische Autor Jewgeni Schwarz (1896-1958) sein antistalinistisches Märchen „Der Drache“ schrieb; die Generalprobe in Moskau am 4. August 44 gilt als Uraufführung, dem folgte das Verbot. Die Brisanz des Politischen im fantastisch-kunstvoll Poetischen war der Staatsführung unerträglich. Zum Welterfolg wurde das so berückende wie beklemmende Kunstwerk über Machtmissbrauch und Untertanengeist erst nach dem Tod des Dichters.
Das Schönste an dieser polternd lustigen Inszenierung von Philip Tiedemann (ansonsten eher für Feinsinn bekannt) – das Schönste ist das leichthin bewegliche, mit einfachsten Mitteln raffiniert komponierte, dabei augenzwinkernd witzige Bühnenbild von Alexander Martynow. Hier lebt der schwebende Geist des Autors, erblüht raffinierte Fantasie und naiver Märchentraum – und das Böse zeigt allemal seine scharfen Zähne.
Die Figuren hingegen bleiben flach gezeichnet, tölpelhaft ins Komische getrieben. Abgesehen vom drollig schnurrenden Kater Mariechen (Georgius Tsivanoglou). Erst nach Drachentod und Pause bekommt die Aufführung endlich etwas Biss: Als die zuvor sich gern als kalauernde Blödmänner gefallenden Amtsvertreter Bürgermeister und Sohn (Dieter Hallervorden und Mario Ramos) den Diktator raushängen lassen und Machtgier zeigen.
Die verkrüppelten, egoistischen Spießbürger, die Geknechteten, die selbst gern knechten, die das Stück in ihrer unheimlichen Gefährlichkeit bloßstellt, das blitzt hier kurz auf in der ansonsten gefälligen Märchenunterhaltung. – Doch zum Schluss trällert das Ensemble für eine gewisse Nachhaltigkeit noch ein Liedchen mit alter Weisheit: Der Drache nistet nicht allein in Mächtigen, sondern im Jedermann.
Schlosspark Theater, bis 8. Dezember. Hier geht’s zu den Karten.
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Ganz Hollywood schwört auf Strasberg. Auf Lee Strasberg mit seiner in der Nachkriegszeit entwickelten Methode der Schauspielausbildung, inspiriert von Stanislawski, dem russischen Regisseur eines ausgefeilten Psychorealismus.
Strasbergs zur Weltmarke avanciertes „Method Actings“ insistiert auf totale Authentizität: Der Darsteller müsse alle seelischen Prozesse der Figur selbst durchleben können. Wer beispielsweise einen Mörder gibt, verkörpert also dessen Innenleben, also perfekte Einfühlung – der Gegenpol zu Brechts Verfremdungs-Methode, die das distanzierte Zeigen einer Figur verlangt.
Einfühlung, Verfremdung, Authentizität – gerade in der Volksbühne seit langem ein gern bespieltes Problemfeld. Da ist es eine olle Kamelle, wenn jetzt der ungarische Regisseur Kornél Mundruczó das Thema aufwärmt. – „Natürlich kann Method Actings zu einem wahrhaftigen Ereignis führen“, sagt er. „Aber es kann auch der Horror sein.“
Spektakuläre Transformation zum Werwolf
Aha, darum geht es in seiner blutrünstigen Backstage-Farce „Method“. Dazu der warnend wackelnde Zeigefinger: Method Actings kann manipulativ das Raubtier im Menschen wecken; kann zivilisatorische Grenzen apokalyptisch durchbrechen.
Im Zentrum der von der mit Hardcore-Humor gesegneten Autorin Kata Wéber dürftig konstruierten „Method“-Story tobt Marvin (Martin Wuttke), Star und Hauptdarsteller eines so genannten Mid-Budget-Body-Horror-Films. Der wiederum spielt seltsamerweise auf einer ISS-Station im Weltraum, wo Commander Marvin wegen einer Havarie in Hysterie verfällt. In die muss er sich nicht einfühlen, er tobt von Natur aus. Zugleich geht es um Marvins Transformation (die Strasberg-Manipulation!) zum Werwolf, zum Tier in ihm.
Für all das setzte Bühnenbildnerin Monika Pormale eine hübsche Raumfahrtkapsel als Filmkulisse auf die Drehscheibe und an den Bühnenrand eine Art Pausenraum fürs Filmvolk, das hin und her stürzt in permanent kriegerischem Modus (die üblichen Backstage-Sauereien). – Da sind denn Acting-Coach Bob (beständig hochtourig Benny Claessens), Produzent Michael (Sir Henry), Drehbuchautorin Holly (verlogen naiv Ann Göbel), Regisseur Stan (nervös erregt Maximilian Brauer), sein Assistent und Lover Assi (Soma Boronkay), ein IT-Girl als Kleindarstellerin (zickig durchtrieben Zarah Kofler) sowie Marvins Partnerin und im Privaten Ex-Geliebte (ladylike Johanna Wokalek).
Fluten imitierter Körperflüssigkeit in Rot und Gelb
Es wird gezickt, gekracht, geknutscht und geblasen, gelogen und gemobbt, was das Zeug hält zwischen Raumstation und Vorderbühne. Derweil Marvin mit furchterregend wucherndem Zottelpelz allmählich zum Werwolf mutiert. Strasbergisch stimuliert und mit reichlich Drogen gefüttert von Bob, dem Coach. Immer zähnefletschender traktiert Marvin die Crew. Schließlich murkst er, wölfisch korrekt eingefühlt, auf Splattermovie gängige Art die exaltierte Bagage ab. Und überschwemmt die Bühne mit imitierten Körperflüssigkeiten in Rot und Gelb. Denn das gehört zu einem bunten Abend. Und zur Ironie.
Als Rausschmeißer dann noch ein Schmankerl für Feinschmecker: Der böse Wolf in bester Stimmung kannibalisiert zu flotter Musik das süße Rotkäppchen, als das Bob, der kleine Maso, sich verkleidete. Da flutschen die ausgeweideten Innereien nur so über die Bühne. Was cool ist – o Gott, Strasberg! – für eine prima Grusel-Show. Auch blubbert Bobs Herz am Ende unverdrossen weiter. Unkaputtbar. In Werwolf Marvins Aldi-Tüte. That’s Volksbühne!
Volksbühne, 24. November und 17. Dezember. Hier geht’s zu den Karten.
1. Deutsches Theater Links und rechts der Mauern
2. Vaganten Wartezimmer Haltestelle
3. Berliner Ensemble Puppenlustig
1. Schaubühne Daseinsmüdigkeit
2. Gorki Aufgespießt – Populistisches von links und rechts
3. Theater am Frankfurter Tor „I did it my way“
1. Deutsche Oper Augen zu und durch
2. Komische Oper Fressen und gefressen werden
3. Komische Oper Böse Hexe, gute Hexe
1. Berliner Ensemble Rockerin mit Grips und Witz
2. Deutsches Theater Kurzer Blick in Abgründe
3. Theater im Palais Charme als Pille gegen Depression
1. Theater an der Parkaue Werden und Vergehen auf insektisch
2. Theater an der Parkaue Aufruf zum Widerstand
3. Berliner Ensemble Allein zwischen den Fronten
1. Gorki Architekten müssen träumen
2. Schlosspark Theater Lustige Märchenspielerei
3. Volksbühne Bunter Abend mit Schlachteplatte