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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 499

Kulturvolk Blog | Sibylle Marx

von Sibylle Marx

25. November 2024

Heute: Zweimal Theater an der Parkaue: 1. „Wazn Teez?“ und 2. „Antigones Vermächtnis“ / 3. Berliner Ensemble – „Gittersee“

1. Theater an der Parkaue - Werden und Vergehen auf insektisch

"Wazn teez?" im Theater an der Parkaue © Sinje Hasheider

Wazn teez? Was ist das denn, werden Sie sich fragen, und da sind Sie schon ganz nah dran, denn das heißt – wahrscheinlich – „was ist das?“ Schwieriger wird es schon bei „Mi nanüt.“ oder "Wazn fümma Plumpse?“ Diese Sätze entstammen einem Bilderbuch des amerikanischen Autors Carlson Ellis, das Jess Jochimsen und Anja Schöne übersetzt haben. Von einer Fantasiesprache in die andere.

Im großformatigen liebevoll gezeichneten Bilderbuch mit wenig Text entdecken zwei Libellen einen grünen Stengel, der aus der Erde kommt. Zusammen mit Biene, Käfer, Feuerwanze und Assel verfolgen sie, wie daraus eine Pflanze wächst, so groß, dass sich ein Insektenbaumhaus drumherum bauen und auf dem es sich gemeinsam gut leben lässt. Aber das Glück währt nicht lange, denn Spinne und Vogel kommen dazwischen.

Martin Heckmann hat aus dieser Geschichte ein „Insekten-Musical“ gemacht, das auf der großen Bühne das Theaters an der Parkaue, das nach jahrelanger Rekonstruktion in wahrhaft neuem Glanz erstrahlt, erzählt wird, und Alexander Riemenschneider und seinem Insektenensemble ist es gelungen, das Publikum – durchgängig von vier bis achtzig – zu verzaubern und zu beglücken.
Wenn sich der rote Samtvorhang öffnet, entert eine knallbunte Schar die Bühne und legt aber so was von los!


Rap geht in jeder Sprache


Die Krabbeltierchen spielen, tanzen und singen mit so viel Freude, dass nach wenigen Minuten der ganze Saal mitzuschwingen scheint. Rock, Pop und Chanson wechseln mit Dialogen in einer unbekannten Sprache, die wir noch nie gehört haben, aber trotzdem verstehen. Wenn Biene und Assel einen Rap in diesem verrückten Sprachgewirr hinlegen, kennt das Publikum kein Halten mehr und tobt. Die tolle Musik ist der Maikäferband unter Tobias Vethake zu verdanken.


Dabei beweist die Inszenierung, dass es im Theater gar nicht viel braucht: Die Bühne (David Hohmann) dreht sich von Bild zu Bild, dabei beobachten wir das Wachsen der Pflanze, die eine herrliche rote Blüte hervorbringt. Das Spinnennetz wird auf den hinteren Plafond projiziert, zwei Akrobaten scheinen darin zu klettern, sie verkörpern die Spinne mit ihren acht Beinen. Der Vogel schwebt als Bild über allem, groß und drohend. Wechselnde Lichtstimmungen zeigen die Jahreszeiten im Wandel.


Alles wie aus einem Guss


Und die Kostüme! Sie sind mit so viel Liebe und Phantasie erdacht (Martina Lebert) und finden ihre Vollendung in den Masken von Annika Titzmann. Arme und Beine stecken in durchsichtigen schwarz durchwirkten Strümpfen und werden so zu Insektenbeinen, eine runde Brille unter einer blauen Strickmütze wird ein Libellenköpfchen. Eine Warnweste, gelb gestreift und eine schwarze Motorradbrille – fertig ist die Biene. Aus allen Mützen und Perücken ragen farbige Drähte oder wippende Federn als Fühler. Selbst die Musiker tragen braune Hosen und Westen in glänzendem Kunstleder und braune Kappen – eben die Maikäferband.
Wenn der Winter Einzug hält und alle kleinen Tiere erbärmlich frieren, kriegt die Biene eine Fellmütze mit Ohrenklappen – natürlich in Gelb – aufgesetzt und die Libelle blaue Armstulpen angezogen.

Immer mal wieder bewegt sich ein gebogener weißer Lüftungsschlauch über die Bühne. Vorne und hinten schauen jeweils zwei Hände hervor, die ihn vorwärts schieben. Wenn nach dem langen kalten Winter endlich wieder der Frühling Einzug hält, ist aus der Raupe ein Schmetterling geworden. Und weil wir im Theater sind, werden gleich zwei daraus, rosarot schweben die Artisten am Trapez in den Bühnenhimmel.

Und wir brauchen nach dem donnernden, nicht enden wollenden Applaus tatsächlich ein paar Minuten, um aus dem Zauber ins richtige Leben zurück zu finden.

Theater an der Parkaue, viele Termine im Dezember. Hier geht’s zu den Karten.


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2. Theater an der Parkaue - Aufruf zum Widerstand

"Antigones Vermächtnis" im Teater an der Parkaue © Sinje Hasheider

Die Bühne 2 im Nebengebäude des Haupthauses (das Theater verfügt nach der Rekonstruktion jetzt wieder über drei Bühnen und eine Probebühne) wurde mit einem Auftragswerk der iranischen Dramatikerin und Lyrikerin Athena Farrokhzad eröffnet.
D
as Stück „Antigones Vermächtnis“ setzt ein nach Antigones Tod, den sie selbst gewählt hat, um dem von Kreon erlassenen Todesurteil zuvorzukommen. Jetzt ist nur noch Ismene am Leben. Ihre Brüder sind tot, auch ihre Mutter. Allein, ist sie verzweifelt, was soll sie tun? Das Testament ihrer berühmten großen Schwester wird es ihr sagen, sie muss es finden.


Der schwarze Bühnenraum ist leer bis auf ein paar Stühle, Töpfe mit exotischen Pflanzen und vier Scheinwerfer auf Stativen in neongrün.
Drei in schwarze Kleider gehüllte Frauen mit langen Zöpfen erwarten Ismene (
Nina Niknafs), die mit zwei schweren Taschen hereingestürmt kommt, hektisch in den Taschen wühlt und alles, was darin ist, herauszerrt und um sich verstreut.


Antike und Gegenwart


Die drei Frauen sind der Chor der kämpfenden Frauen
(Birgit Berthold, Elisabeth Heckel, Caroline Erdmann). Es sind Frauen, die auch im Widerstand gekämpft haben, jetzt aber nicht mehr eingreifen können ins Geschehen, sondern lediglich mit ihrer Erfahrung und Weisheit den Lebenden – hier also Ismene – beratend und kommentierend zur Seite stehen. Sie erinnern an die Schicksalsgöttinen der Antike. Der Chor – sprachlich bemerkenswert präzise – bestärkt Ismene darin, sich von der Schwester zu emanzipieren. Das ist nicht leicht, denn Antigone und ihre Taten scheinen übermächtig und wirken über ihren Tod hinaus. Durch den wechselseitigen Sprechgesang des Chores mit Antigone (Theresa Henning) begreift Ismene deren Handeln und findet ihren eigenen Weg.

Kreon, der König von Theben
(Denis Pöpping) ist hier ein Herr im grauen Anzug. Unscheinbar, aber gefährlich, ein autokratischer Herrscher, der persönlich alles verloren hat , sich aber an der Macht festkrallt.

Das Stück
reagiert direkt auf die Protestbewegung im Iran, wo Frauen unter Einsatz ihres Lebens zum Beispiel darum kämpfen, kein Kopftuch tragen zu müssen. Aber es geht darüber hinaus. Es ist ein besonderer Text, der den antiken Mythos mit dem Kampf der Frauen gegen männliche Macht und Unterdrückung überall auf der Welt verbindet.

Die Inszenierung der schwedischen Regisseurin Farnaz Arbabi greift die klare, dabei aber wunderbar poetische Sprache auf und verwandelt sie in 50 kraftvolle und spannende Theaterminuten.

Theater an der Parkaue, bis 24. Januar. Hier geht’s zu den Karten.


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3. Berliner Ensemble - Allein zwischen den Fronten

"Gittersee" im Berliner Ensemble © Moritz Haase

Wer darf über die DDR schreiben? Kann eine junge Frau, die erst nach dem Untergang dieses Landes geboren wurde, überhaupt ermessen, wie der Alltag aussah, in welchen Widersprüchen sich die Menschen bewegten, mit welchen Problemen sie zu kämpfen hatten und wie sie redeten? Diese Fragen begleiteten das Erscheinen des Debütromans der 1992 in der Bundesrepublik geborenen Autorin Charlotte Gneuß. Gittersee“ wurde gleichzeitig gefeiert und erhielt mehrere Preise, blieb aber auch umstritten.

Im Mittelpunkt steht die 15jährige Karin. Ein zurückhaltendes einsames Mädchen, das weder von den Eltern noch von der Oma besonders viel Zuwendung erfährt; im Gegenteil, sie soll im Familiengefüge funktionieren, sich um die kleine Schwester kümmern und ansonsten die Klappe halten.
Weil sie immerzu eingebunden ist und sich auch nicht traut, die Eltern zu fragen, schlägt sie das Abenteuer aus, zu dem ihr Freund Paul sie einlädt: eine Fahrt übers Wochenende ins

tschechische Nachbarland.


Unter einem schlimmen Verdacht


Von diesem Abenteuer kehrt Paul nicht zurück, stattdessen steht die Stasi vor der Tür. Paul hat Republikflucht begangen. Karin steht unter dem Verdacht der Mitwisserschaft (Für Beihilfe zur Republikflucht ging man für ein paar Jahre in den Knast). Aber da ist Wickwalz, der freundliche Stasimann, der für Karin ganz viel Verständnis hat, sie ernst nimmt, ihr Zeit widmet und sie Stück für Stück zu einer jugendlichen Informantin macht. Karin gerät immer tiefer in
den Widerspruch zwischen dem Vorsatz, niemanden zu verraten und dem Wunsch, der Wertschätzung durch Wickwalz gerecht zu werden.

Die Bühnenfassung von
Leonie Rebentisch, die auch Regie geführt hat, versucht sich in der Reduktion des Roman auf Haupt-Handlungsstränge, auch die Personage ist eingedampft.
Kathleen Morgeneyer spielt Karins Mutter als genervte und überforderte Frau, die ihrer Tochter vor allem Vorwürfe macht und ihr mit einer unterschwelligen Aggressivität begegnet. Die Oma (Rahel Ohm) ist im Gegensatz zur literarischen Vorlage, wo sie als eine verbitterte und vom Leben enttäuschte böse alte Frau gezeichnet wird, hier eine immerzu Kartoffeln oder Äpfel schälende Bäuerin, die zwar auch ihrer großen Zeit im Krieg (Spionin in Paris, Flakhelferin?) nachtrauert, ihrer Enkelin aber wenigstens eine gewisse großmütterliche Sympathie entgegenbringt.


Die Romansprache bleibt


Im Gegensatz zum Roman, der trotz seiner reduzierten spröden Sprache eine Spannung erzeugt, wird man vom Geschehen auf der Bühne des Neuen Hauses nicht berührt. Der Gneußsche Text wird nicht in Bühnensprache übersetzt, zäh zieht sich die Handlung dahin, die Figuren bleiben einseitig.

Amelie Willberg glaubt man die Sechzehnjährige, die kämpfen muss, um nicht unterzugehen in diesem Gewirr von Ansprüchen und Gefühlen. Aber warum muss Marie (Irina Sulavers), Karins Freundin seit Kindertagen und ihre einzig wirklich Verbündete, eine plappernde laute Göre sein und die Auseinandersetzung zwischen den beiden eine einzige Schreierei? Paul Herwig als Stasi-Wickwalz balanciert weniger zwischen gefährlich und verständnisvoll, sondern ist eher ein netter Herr in gut geschnittenem Anzug.

Zwei starke Bilder rahmen die Aufführung ein: Die Bühne von Sabine Mäder besteht aus einem weißen durchscheinenden Horizont, vor dem versetzt weiße Papierstreifen wie eine senkrechte Lamellenwand hängen. Schemenhaft bewegen sich die Figuren im Gegenlicht, ein Gewisper wird zum Geflüster, ein Durcheinander von Stimmen, erst nach und nach werden die Worte verständlich.
Die
Papierstreifen sind an einem Glasdach befestigt, das sich zu dumpfen unterschwellig dröhnenden Tönen und Geräuschen hebt und senk. Zwischen diesen Flatterbändern bewegen sich die Figuren, verstecken sich, beobachten, verfolgen einander.
Am Ende ist viel vom Papier heruntergerissen, das Glasdach fährt nach unten, bis es einen halben Meter über dem Boden stoppt und Amelie Willberg, die mit ausgebreiteten Armen zwischen Papierknäueln hingestreckt liegt, zu erdrücken scheint. Sie kann sich befreien. Der Ausweg ist grausam.

Berliner Ensemble, Neues Haus. Erst im neuen Jahr gibt es für die Kulturvolk-Mitglieder wieder Termine.

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