HEUTE: 1. Schlosspark Theater – „Knapp daneben ist auch vorbei“ / 2. Deutsche Oper Berlin– „Written on Skin“ / 3. Neuköllner Oper – „Lisas Land des Lächelns“
„Ja, sehr komisch, ha-ha-ha, ist die Sache, ha-ha-ha“: Als Lach-Arie ist „Mein Herr Marquis“ aus der Operette „Die Fledermaus“ berühmt geworden. Doch selten löste dieser Ohrwurm beim Publikum solche Lachanfälle aus wie bei den Darbietungen der Sopranistin Florence Foster Jenkins (1868-1944).
Die amerikanische Mäzenin und Amateursängerin ging als „Diva der falschen Töne“ in die Geschichte ein. Kein Genre war vor ihrer in Tonhöhe und Rhythmus freien Sangeskunst sicher. Der Rachearie der Königin der Nacht verpasste die finanziell unabhängige Witwe ebenso Furcht erregende Koloraturen wie der Gilda aus „Rigoletto“ oder Carmens Habanera, im spanischen Kostüm. Foster Jenkins’ seltene Auftritte auf Benefizveranstaltungen und Bällen wurden zum schrägen Insider-Tipp. Auch vor Plattenaufnahmen, natürlich von ihr selbst finanziert, schreckte die „Königin der Dissonanzen“ nicht zurück.
Kein Wunder, dass die von sich selbst unerschütterlich überzeugte Amerikanerin Theaterautoren und Filmemacher inspirierte. „Glorious“, die Komödie von Peter Quilter, wurde nach der Uraufführung am Londoner Westend 2005 zum internationalen Erfolgsstück. 2012 lief es bei den Woelffer-Bühnen am Kudamm, mit Johanna von Koczian in der Hauptrolle. Unter dem Titel „Knapp daneben ist auch vorbei“ begeistert es nun im Schlosspark Theater, als Koproduktion mit den Schauspielbühnen in Stuttgart.
Schlecht singen will gelernt sein
Die Titelheldin ist eine Paraderolle für Antje Rietz, die in Steglitz schon als Hildegard Knef rote Rosen regnen ließ und im heißen Musical „Sugar“ die strenge Leaderin in einer Damenkapelle verkörperte (mehr dazu im Blog Nr. 409 vom 26. September 2022). Schon von der ersten schiefen Arie an liegt ihr das Premierenpublikum zu Füßen. Um wirklich schlecht zu klingen, muss man verdammt gut singen können. Die an der Berliner UdK ausgebildete Sängerin legt unglaubliche Energie in die Rolle der Frau, die für die Verwirklichung ihres Lebenstraums alles gibt. Auch am Ende, als 3000 Plätze in der Carnegie Hall für ihren Auftritt verkauft werden müssen und sie mit 76 Jahren ihren finanziellen Ruin riskiert.
Das Stück funktioniert in erster Linie als Salonkomödie, pointensicher von Frank-Lorenz Engel in Szene gesetzt, und setzt Spott über Foster Jenkins vergleichsweise sparsam ein. Auch die Menschen in ihrem engen Umfeld sind ja nicht von Erfolg gesegnet. Ihr Lebenspartner, der britische Schauspieler St. Clair Bayfield (Max Gertsch), floppt als Shakespeare-Darsteller. Ihre Freundin und Nachbarin Dorothy (Anette Daugardt) entwirft Wohnaccessoires, die nicht minder abenteuerlich erscheinen wie die extravaganten Kostüme der Diva.
Enthusiasmus siegt über Talent
Fast schon zum Mitbewohner der vielen Proben wegen wird Cosme McMoon, der Klavierspieler, der durch das Engagement dem ärmlichen Dasein als Hotelpianist entflieht. Eine diffizile Rolle, weil sie darstellerisch wie auch auf den Klaviertasten Brillanz erfordert. Der bei der Premiere erkrankte Christian Miebach wurde souverän vertreten von Peter Lewys Preston, der die Rolle noch aus Stuttgart drauf hat.
Alle helfen mit, damit Enthusiasmus über das Talent die Oberhand behält. Die Carnegie Hall ist ausverkauft. Das historisch verbürgte Engelskostüm mit riesigen Flügeln (Su Sigmund) verweist auf das traurige Ende. Nur einen Monat nach dem Konzert starb die Sängerin an einem Herzinfarkt. Freunde vermuteten, aus Gram über vernichtende Rezensionen. Davor braucht man in Steglitz keine Angst zu haben.
Schlosspark Theater, bis 25. Februar. Hier geht’s zu den Karten.
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Auch wenn in höchsten Tönen gesungen wird, so ist die Story, die „Written on Skin“ uns erzählt, verdammt düster. Ein Mann ersticht den Liebhaber seiner Frau, schneidet ihm das Herz heraus und serviert es der Frau zum Abendessen. Sie stürzt sich daraufhin in den Freitod.
Das klingt nach Horrorfilm. Vielleicht kennen Sie die Handlung aus Boccaccios „Decamerone“, denn die Geschichte vom „Cœur mangé“, vom gegessenen Herzen, ist in der Weltliteratur in einigen Varianten bekannt. Sie geht auf den Troubadour Guilhem de Cabestanh zurück, der um 1200 im Südwesten Frankreichs lebte. Über ihn wiederum existiert ein anonymer okzitanischer Text aus dem 13. Jahrhundert, mit dem sich der Londoner Komponist George Benjamin und sein Librettist Martin Crimp befassten, im Auftrag des Festivals in Aix-en-Provence.
Was zeitgenössischen Komponisten selten widerfährt, gelang mit dieser dreiteiligen Oper. „Written on Skin“ reist seit 2012 in der Uraufführungs-Inszenierung von Katie Mitchell um die halbe Welt. Jetzt darf man das aufwühlende, wenn auch nicht leicht verständliche Stück Musiktheater in der Deutschen Oper Berlin erleben.
Verführungsmacht der Kunst
Die tödliche Dreiecksgeschichte ist weitaus vielschichtiger, als es der Plot vermuten lässt. In der Vorlage verführte der Troubadour im Haus eines Landadeligen mit seiner Kunst und seinem Körper die Gattin seines Gastgebers. In der englischsprachigen Adaption wurde aus dem Troubadour ein Buchillustrator. Er soll auf dem aus Tierhäuten hergestellten Pergament, „auf Haut“ also, dem reichen Protector eine Bilderchronik über dessen Leben erstellen. Dabei kommt er Agnès, der Frau seines tyrannischen Auftraggebers, als Maler auch körperlich näher. So entwickelt sich eine tödliche Affäre.
Die Bühne (Vicky Mortimer) umrahmt ein mittelalterliches Gewölbe mit nüchternen, hell erleuchten Räumen, die aussehen wie Garderoben eines heutigen Theaters. Hier hausen die Engel der Gegenwart. Sie wollen die Vergangenheit wieder aufleben lassen, wollen wissen, wie sich menschliches Schicksal anfühlt. So erwecken sie Agnès und den Protector zurück ins Leben, ein Engel schlüpft gar in die Rolle des Verführers. Dass die Personen zudem noch in der dritten Person reden, sich so eine Distanz zu sich selber verschaffen sollen, ist dem emotionalen Zugang zu ihrem Schicksal wenig förderlich. Auch an den Gedanken, dass sich Engel am menschlichen Elend erfreuen können, muss man sich gewöhnen.
Keine Angst vor neuer Musik
Eine Oper ohne Tenor, wo gibt es das? Benjamin aber traut für die Rolle des Engels, der zum Buchillustrator wird, der Verführungsmacht des Countertenors. In diesem Fach ist Aryeh Nussbaum Cohen aus New York eine international gefragte Größe. Bei seinem Debüt an der Bismarckstraße sieht er sich vom Premierenpublikum zu Recht bejubelt. Jede der drei Hauptrollen in diesen pausenlosen 90 Minuten ist ein Kraftakt. So gibt es ebenfalls Ovationen für die amerikanische Sopranistin Georgia Jarman und den britischen Bariton Mark Stone. Der Erfolg ist nicht zuletzt in Benjamins Kompositionsprinzip gegründet, den Stimmen stets Vorrang zu geben.
Dabei ist der vierte Star des Abends das von Marc Albrecht geführte Orchester der Deutschen Oper Berlin. Der Reichtum an Klangfarben, die Intensität, von stillen Passagen bis zu brutalen Klangkaskaden, ist das eigentliche Pfund, mit dem „Written on Skin“ wuchert. Hier spürt man: Auch neue Musik kann verführen.
Deutsche Oper Berlin, 1., 5. und 9.Februar. Hier geht’s zu den Karten.
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„Das Land des Lächelns“, uraufgeführt am 10. Oktober 1929 am Berliner Metropol-Theater, ist der letzte Superhit des Komponisten Franz Lehár. Sein damaliges Zugpferd, der Startenor Richard Tauber, verkörperte Sou Chong, einen chinesischen Prinzen. Lisa, die Tochter eines Wiener Grafen, verguckt sich in den gut aussehenden und höflich zurückhaltenden Gast aus Fernost. Es kommt, wie es in der Operette kommen muss: Beide werden ein Paar. Allen Warnungen zum Trotz folgt Lisa ihrer Liebe nach China. Dort muss sich Sou Chong der Tradition fügen und gleich vier Mandschu-Mädchen ehelichen. Verzweifelt plant Lisa die Flucht aus dem Palast, doch schweren Herzens, aber voller Mitgefühl lässt der Prinz seine Geliebte ziehen. Nach dem Motto: „Immer nur lächeln“.
Eine derart mit Klischees überfrachtete Geschichte könne man so heute nicht mehr erzählen, meint man in der Neuköllner Oper. Überhaupt haftet der Darstellung von Asiaten auf der Bühne schnell der Ruch des Rassismus an. So hat Hausdramaturg Bernhard Glocksin die junge Autorin und Klein-Förderpreisträgerin Elisabeth Pape und die aus Ungarn stammende Komponistin Abigél Varga gebeten, den Operetten-Klassiker in das polyglotte Berlin von Heute zu versetzen. In eine Welt, in der es gerade auf den digitalen Plattformen ebenfalls um den Widerspruch von Sein und Schein geht.
„Lisas Land des Lächelns“ ist daher eine Dating-Operette geworden, in der sich Lisa und ein in Berlin lebender chinesischer BWL-Student (sorry: Studierender) zunächst online näher kommen, das Display der Smartphons ist Teil der Bühne. Das Personal des alten Librettos wurde auf eine Viererkiste zusammengestrichen, Lisas Mitbewohner Toby und dessen Bekanntschaft Mi (auch mit asiatischen Wurzeln) sind das klassische Buffopaar. Das Orchester wurde ebenfalls verschlankt, auf ein Septett mit im klassischen Klangkörper seltenen Instrumenten, darunter die chinesische Zither Guzheng. Und das ist wirklich reizvoll, wenn Lehárs Klänge einen, diesmal authentischeren asiatischen Touch erhalten, wie die berühmteste Arie „Dein ist mein ganzes Herz“.
Zwischen Liebe und Selbstverwirklichung
Wem hier welches Herz gehört, und ob es wirklich immer das ganze Herz ist, das ist die Frage in diesem von Ansgar Stephan Weigner munter inszenierten Beziehungsspiel. Lisa (resolut und laut: Marie Sofie Jacob) betet ihren „Sou Chong“, der ganz anders heißt und nicht aus Peking, sondern aus Shanghai kommt (feinfühlig und leiser: Nicholas Malakul), zuerst tatsächlich wie einen Operettenprinzen an. Sie möchte mit ihm in seiner Heimat ein Startup gründen, doch er sträubt sich. Anders als in Berlin, sagt er, gäbe es im Land des Lächelns wenig zu Lachen. Das lässt Lisas Zuneigung, eher aus der Sehnsucht nach der fernen Welt gespeist, erkalten.
Ihr zweiter Verehrer, Mitbewohner Toby (witzig und wandlungsfähig: Luca Schaub) vergisst hingegen alle Liebesschwüre, als er eine berufliche Chance in New York erblickt. Seine neue Freundin Mi (ironisch und bodenständig: Vivian Yau) kennt die Stadt und meint, New York sei total überbewertet.
Konflikte zwischen Liebe und Selbstverwirklichung, die kaum lösbar scheinen. Deswegen wird sogar das Publikum in eine Therapiesitzung einbezogen. Das hat Witz. Schade ist es trotzdem, dass man bei aller Ironie dem Zauber, der Lehárs Melodien durchaus innewohnt, nicht mehr vertraut. Denn trotz aller Vorbehalte (Sexismus, Exotismus, Lehárs Position im Dritten Reich und, und, und) kann diese Musik immer noch anrühren. Und zwar das ganze Herz.
Neuköllner Oper, bis 1. März. Hier geht’s zu den Karten.
1. Deutsches Theater Links und rechts der Mauern
2. Vaganten Wartezimmer Haltestelle
3. Berliner Ensemble Puppenlustig
1. Schaubühne Daseinsmüdigkeit
2. Gorki Aufgespießt – Populistisches von links und rechts
3. Theater am Frankfurter Tor „I did it my way“
1. Deutsche Oper Augen zu und durch
2. Komische Oper Fressen und gefressen werden
3. Komische Oper Böse Hexe, gute Hexe
1. Berliner Ensemble Rockerin mit Grips und Witz
2. Deutsches Theater Kurzer Blick in Abgründe
3. Theater im Palais Charme als Pille gegen Depression
1. Theater an der Parkaue Werden und Vergehen auf insektisch
2. Theater an der Parkaue Aufruf zum Widerstand
3. Berliner Ensemble Allein zwischen den Fronten
1. Gorki Architekten müssen träumen
2. Schlosspark Theater Lustige Märchenspielerei
3. Volksbühne Bunter Abend mit Schlachteplatte