Heute: 1. Vagantenbühne – „Schwemmholz“ / 2. GRIPS – „Irgendwo da oben“ / 3. Deutsches Theater – „Die Katze auf dem heißen Blechdach“
Auf der nackten Bühne ein Menschenknäuel unter schwarzem Tüll, unterscheidbar nur die drei Gesichter, hinter Sonnenbrillen verborgen. Cellomusik, melancholisch, unheilvoll.
Aus dem Tüll schälen sich die Körper. Sie tragen Schnürstiefel mit dicken Sohlen. Im Gegensatz dazu Netzstrümpfe, schwarze Kleider, jedes einzelne sorgfältig gearbeitet, mit feinen Details; schimmernde Federn bedecken eine Schulter, um einen anderen Hals legen sie sich wie ein Schal (Bühne und Kostüme: Johanna Bajohr).
Wachen die Frauen nach einer Katastrophe auf? Graben sie sich aus einem Unterschlupf, in den sie sich geflüchtet haben? Gibt es überhaupt noch Leben oder sind sie als einzige übrig geblieben? Wie Schwemmholz, das lange im Wasser trieb und letztendlich doch irgendwo angelandet ist?
Die letzte Stimme?
Eine Stimme, die beobachtet, die eine Geschichte erzählt, die sich erinnert. Das Stück beschreibt die zerstörte Umwelt, in der es kaum noch Wasser gibt, wo nur noch Pilze und Flechten wachsen, beschreibt ein diktatorisches System, das Menschen hinrichtet, die sich frei äußern, erinnert sich aber auch an das Leben, wie es früher war und vor allem an eine Liebe, die überlebt.
„Schwemmholz“ von Andreas Sauter ist ein Monolog, für den der Autor aber drei Schauspielerinnen vorsieht.
Das Stück ist über weite Strecken düster, die Sprache manchmal sperrig, Passagen wiederholen sich. Keine leichte Kost, aber ich habe selten einen derart eigenwilligen Text so plastisch umgesetzt gesehen.
In der Regie von Bettina Rehm knacken Marie-Thérèse Fontheim, Natalie Mukherjee und Hannah von Peinen dieses Konvolut an Worten auf, zerlegen es und verwandeln es in Spiel. Sie schaffen es, die Spannung über die gesamten fünfundsiebzig Minuten zu halten. In der Vorstellung, die ich gesehen habe, waren Dreiviertel des Publikums Schülerinnen und Schüler elfter oder zwölfter Klassen, die genau wie ich gebannt folgten. Kein Tuscheln, keine Unruhe im Saal. Das muss ein Theaterabend erst mal schaffen.
Die drei Spielerinnen sind die eine Stimme und doch jede eine andere. Hören sich gegenseitig zu, lassen den anderen beiden Raum, fallen sich aber auch ins Wort, um dagegen zu halten, einen neuen Gedanken zu äußern oder eine andere Erinnerung aufleben zu lassen. Wie die innere Stimme, die wir alle in uns tragen.
Aufgeben ist keine Option
Immer dicht beieinander, bleiben sie doch als Individuen unterscheidbar. Sie halten sich gegenseitig, machen sich Mut, wenn die Verzweiflung sie zu übermannen droht. Ein knallroter Lippenstift – gerettet aus einem früheren Leben – wird hervorgeholt, und jede malt sich ohne Spiegel die Lippen rot. Ein gegenseitig prüfender Blick: Gut So.
Erinnerungen sind so stark, dass sie zur Realität werden: Ein mit Säcken beladener Transportwagen, wie ihn Wäschereien benutzen, wird aus der Gasse geholt, die Säcke werden nacheinander ausgeschüttet, der Inhalt regnet auf die Frauen, und ein Berg handtellergroße Blüten türmt sich auf. Durch diesen Berg waten die Drei, er wird auseinander gewirbelt, muss wieder zusammengefügt werden, einzelne Blüten bleiben an den Körpern kleben. Farben in diesem ganzen verdammten Schwarz.
Noch mal werden die Lippen gemalt, jetzt wilder, über die Münder hinaus. Der Sturm wird stärker. Das macht nichts. Wir auch.
Vagantenbühne, 1., 2. und 3. Februar; 14. und 15. März. Hier geht’s zu den Karten.
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Yuna hat ihre Mama verloren, sie ist gestorben, ohne dass Yuna wusste, dass sie sterben wird. Niemand hatte ihr was gesagt, die Mama nicht, nicht der Papa, nicht die Oma. Eines Tages, als Yuna nach Hause kam, war die Mama nicht mehr da. Seitdem finden alle Yuna komisch, nur Jerome versteht sie, ihr Freund Jerome, den außer ihr niemand sehen kann.
Max hat zwei große Brüder – Zwillinge – die ihn nicht nur ärgern, sondern richtig fies quälen, und Max weiß nicht, wie er sich gegen die beiden wehren soll. Die Eltern hören ihm nicht zu, sind mit sich beschäftigt, streiten oft.
Das ist die Ausgangssituation im Stück „Irgendwo da oben“ von Kaya Tina Büttner, in dem es neben den großen Themen von Leben, Tod und Freundschaft darum geht, wie ernst wir unsere Kinder und ihre Gefühle nehmen. Petra Schönwald hat es auf die Bühne des Podewil an der Klosterstraße gezaubert.
Der unsichtbare Freund
Max (Marius Lamprecht) ist wieder einmal auf der Flucht vor seinen gemeinen Brüdern und überrascht Yuna (Regine Seidler) im Gespräch mit ihrem Freund Jerome.
Auch vor uns verbirgt sich Jerome: Wir sehen und hören lediglich ein Cello; der Kopf der Musikerin (Ulrike Brand) ist hinter einem Schleier verborgen, ähnlich dem, den Imker tragen. Bienen spielen in der Geschichte nämlich auch eine Rolle.
Die Musik, mal nur einzelne Töne, mal Tonfolgen oder kleine Melodien fügt sich stimmig ein, befördert das Spiel ohne es zu illustrieren.
Als Max auftaucht, fühlt sich Yuna ertappt, fährt ihre Krallen aus, wehrt Max ab. Aber Max lässt nicht locker und so wächst langsam eine Freundschaft, die beiden hilft: Yuna kann zulassen, dass sie in ihrer Trauer nicht allein ist und Max findet den Mut, sich gegen seine Brüder zu wehren und schafft es, dass seine Eltern ihm zuhören. Und darf schließlich auch Jerome sehen.
Bälle rollen nun mal
Im schwarzen Bühnenraum von Afra Nobahar liegen oder schweben Bälle, die je nach Situation in verschiedenen Farben von innen leuchten. Auf manchen kann man sitzen, manche überragen die Spieler, so groß sind sie. Hier kann man sich verstecken, man kann man einander versuchen zu fangen, die Bälle bilden eine Barriere, um sich abzugrenzen, markieren aber auch einen Weg, den man auf gar keinen Fall gehen will.
Marius Lamprecht und Regine Seidler bewegen sich also in einem Raum, der sich ständig verändert und unvorhergesehene Situationen schafft und machen das mit spielerischer, geradezu artistischer Leichtigkeit.
Wie Yuna ein wenig Honig aus einem Bienenstock entnimmt, um Max davon kosten zu lassen, indem sie sich streckt, um nach ganz oben an den Ball zu kommen; wie Max Yuna einen ganz kleinen intensiv strahlenden Ball als Blume für das Grab der Mama präsentiert, sind nur zwei der vielen magischen Momente dieser Aufführung. Großartig!
GRIPS im Podewil, für Menschen ab 8; 28., 30. und 31.März. Hier geht’s zu den Karten.
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Big Daddy (Ulrich Matthes) wird 65, zur Feier seines Geburtstages sind beide Söhne angereist: Brick (Jeremy Mockridge) mit seiner Frau Margaret (Lorena Handschin), Gooper (Jonas Hien) mit Mae (Julischka Eichel) und einer schier unüberschaubaren Bande von lärmenden Blagen.
Die Party kommt nicht so recht in Schwung, der Jubilar verabschiedet sich frühzeitig. Denn Big Daddy ist schwerkrank und wird bald sterben. Es gibt also was zu erben und beim Erben hört ja bekanntlich, wie überhaupt in Geldangelegenheiten, die Freundschaft auf.
„Die Katze auf dem heißen Blechdach“ von Tennessee Williams ist zwar schon fast siebzig Jahre alt – die Uraufführung fand 1955 statt – behandelt aber mit dem Faszinosum Familie Probleme, die heute so aktuell sind wie in den fünfziger Jahren und es auch in hundert Jahren noch sein werden: Erwartungshaltungen, die nicht erfüllt werden (können), das Unvermögen miteinander zu sprechen, Lügen, die verbreitet werden um des eigenen Vorteils willen oder um Betroffene zu schützen.
Anne Lenk hat in den letzten Jahren mit „Der Menschenfeind“, „Der Zebrochne Krug“ und zuletzt „Minna von Barnhelm“ erfolgreich Inszenierungen auf die Bühne des Deutschen Theaters gebracht, die die klassischen Stücke in einem anderen neuen Licht erscheinen ließen, die sich durch eine skurrile Ernsthaftigkeit, faszinierende Bühnenbilder und Kostüme auszeichneten.
In der aktuellen Inszenierung besteht die Bühne von Judith Oswald aus Rahmen, die sich nach hinten verjüngen, wie Schachteln, die eine in der anderen stecken. Die Schauspieler agieren auf übereinander angeordneten Spielebenen in den einzelnen Rahmen. Schmale, immer mal wieder grell aufscheinende Leuchtstoffröhren fassen die einzelnen Kästen ein.
Ein stumpfes Braunbeige in verschiedenen Schattierungen ist die vorherrschende Farbe und schon diese Farbgebung trägt zu der muffigen Atmosphäre dieses Abends bei. Die Figuren sind einerseits extrem ausgestellt, bleiben aber andererseits trotz des hervorragenden Ensembles blass. Man bekommt beim Zuschauen keine emotionale Verbindung zum Geschehen, bleibt außen vor; verliert dadurch das Interesse und bleibt stattdessen gedanklich bei komischen Details in den Kostümen von Sibylle Wallum oder unverständlichen Szenen hängen, wie der, in der ein altgewordenes Enkelkind neben der als Stehlampe verkleideten Big Mama (Miriam Maertens) sitzt.
Den im Programmheft formulierten Anspruch das Stück „für ein Publikum in Berlin 2023 lesbar, hörbar, spürbar“ zu machen, erfüllt die Inszenierung leider nicht.
Deutsches Theater, 13., 19. und 23. Februar. Hier geht’s zu den Karten.
1. Deutsches Theater Links und rechts der Mauern
2. Vaganten Wartezimmer Haltestelle
3. Berliner Ensemble Puppenlustig
1. Schaubühne Daseinsmüdigkeit
2. Gorki Aufgespießt – Populistisches von links und rechts
3. Theater am Frankfurter Tor „I did it my way“
1. Deutsche Oper Augen zu und durch
2. Komische Oper Fressen und gefressen werden
3. Komische Oper Böse Hexe, gute Hexe
1. Berliner Ensemble Rockerin mit Grips und Witz
2. Deutsches Theater Kurzer Blick in Abgründe
3. Theater im Palais Charme als Pille gegen Depression
1. Theater an der Parkaue Werden und Vergehen auf insektisch
2. Theater an der Parkaue Aufruf zum Widerstand
3. Berliner Ensemble Allein zwischen den Fronten
1. Gorki Architekten müssen träumen
2. Schlosspark Theater Lustige Märchenspielerei
3. Volksbühne Bunter Abend mit Schlachteplatte