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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 447

Kulturvolk Blog | Uwe Sauerwein

von Uwe Sauerwein

4. September 2023

HEUTE: 1. NEUKÖLLNER OPER – FRAU OHNE SCHATTEN / 2. WINTERGARTEN – „MAD MAGIC! / 3. DEUTSCHES HISTORISCHES MUSEUM – AUSSTELLUNG ÜBER WOLF BIERMANN / KULTURVOLK ­EHRT ERWIN PISCATOR

 

1. Neuköllner Oper - Mensch Mutter!

"Frau ohne Schatten" in der Neuköllner Oper © Thomas Koy

Drei Jahre sind Kaiser und Kaiserin verheiratet. Doch auf der Ehe lastet ein Fluch. Die Kaiserin ist die Tochter des Geisterfürsten, also kein Mensch. Sie erzeugt keinen Schatten und kann keine Kinder bekommen. Wenn sie nicht innerhalb von drei Tagen einen Schatten wirft, droht ihr Mann zu versteinern. Die Kaiserin bittet die Amme um Hilfe. Gemeinsam sucht man den Färber Barak und seine Frau auf, die eine unerfüllte Ehe führen. Man macht der Färbersfrau, die keine Kinder möchte, ihren Schatten abspenstig. Als die Kaiserin erkennt, welches Leid sie damit verursacht, verzichtet sie jedoch. Dieses Mitgefühl macht sie menschlich.

Mitleid, Mensch, Mutter: So setzt sich die Kausalitätskette in „Die Frau ohne Schatten“ zusammen, der vierten gemeinsamen Oper von Richard Strauss und seinem Librettisten Hugo von Hofmannsthal, angelehnt an die Märchenwelt von Mozarts „Zauberflöte“. Für Strauss wie von Hofmannsthal war die Arbeit während des Ersten Weltkriegs (Hofmannsthal wurde als Soldat eingezogen) ein Schmerzenskind. Am Ende beschwört die 1919 uraufgeführte Oper das traditionelle Familienglück. Die alten Rollenbilder von Frauen und Männern bleiben in der Neuköllner Oper nicht unwidersprochen. Gut die Hälfte der Oper haben Regisseurin Ulrike Schwab und der musikalische Leiter Tobias Schwencke für „Frau ohne Schatten“ gestrichen.

Man ist mittendrin statt nur dabei. Die Trennung zwischen Bühne und Zuschauern wurde größtenteils aufgehoben. Unter anderem nimmt man auf Betten Platz, die Protagonisten spielen überall, beziehen das Publikum manchmal mit ein. Diese „letzte romantische Oper“ (Strauss) ist ja eigentlich eine Angelegenheit für die großen Häuser, der höchst anspruchsvollen Gesangspartien und des gewaltigen Orchesterapparates wegen. Auch wenn in Neukölln die Komposition in der zehnköpfigen Kammerbesetzung ein wenig an Kurt Weill erinnert, verfehlt die großartige Musik von Strauss ihre Wirkung keinesfalls. Die gewonnene Transparenz sorgt beim Hören für Aha-Erlebnisse.


Feministischer Widerspruch


Man könnte es sich einfach machen mit der Aktualisierung, mit Hinweis auf heutige Patchwork-Familien. Doch im Gegensatz zu Inszenierungen, die das Werk in einen Schützengraben oder einen Kreißsaal verlegten, nimmt diese Version dem Märchen nicht seinen Zauber, selbst durch die feministischen Texte nicht, die zu manchen Instrumentalpassagen verlesen werden.

Das Personal wurde reduziert auf drei Paare mit verschiedenen Lebensentwürfen. Kaiserin und Kaiser, Färberpaar sowie die Amme und Keikobad, der Geisterkönig, eine Partie, die in der Oper eigentlich nicht vorkommt. David Ristau singt viele Passagen, die sonst dem hier gestrichenen Boten zugeschrieben wurden, dazu im Falsett die hohen Töne des Falken. Zusammen mit den beiden anderen männlichen Solisten, dem Tenor Chunho You aus Korea, und dem schwedischen Bariton Joa Helgesson als Barak übernimmt er noch die gehandicapten, streitlustigen Brüder des Färbers.

Die Färberin ist mit einer Schauspielerin besetzt, Franziska Junge, früh von Peymann fürs BE entdeckt, die auch ihre Fähigkeiten als diplomierte Sängerin beweisen kann, aber die gesprochenen Passagen entfalten besondere Faszination. Anders als bei Strauss/Hofmannsthal erhält die Färberin weit mehr Eigenständigkeit, ist nicht nur aufmüpfige, gefühllose Gattin. Die von Catrin Kirchner mit hoher Intensität gesungene und verkörperte Amme verliert das Diabolische und wird zur tragischen, am Ende von Keikobad verstoßenen und misshandelten Figur. Ein Hauch von großer Oper, was Stimmgewalt und Habitus angeht, verströmt die isländische Sopranistin Hrund Òsk Àrnadóttir, man fragt sich, ob das von der Regie her so gewollt war.

Auch ein Happy End findet in dieser Fassung nicht statt. Eher wird das Drama ironisch aufgelöst, Sängerinnen und Sänger plaudern plötzlich in ihrer Mutter(!)-Sprache, die Mitglieder des Orchesters singen dazu als Chor. Die Regie erhebt keinen Anspruch auf Deutungshoheit, sie lässt viel Raum für eigene Gedankenspiele. Man muss sich darauf einlassen, aber es lohnt sich.

Neuköllner Oper, bis 24. September. Hier geht’s zu den Karten.


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2. Wintergarten - Alles eine Frage der Illusion

"Mad Magic" im Wintergarten Varieté © Ben Duentsch

Abrakadabra im Varieté Wintergarten. Die neue Produktion „Mad Magic!“ ist die ironische Antwort auf opulente Shows weltberühmter Zauberer und sorgt doch neben Lachsalven auch immer wieder für großes Staunen.

Statt Strahlemännern Marke David Copperfield oder Hans Klock begrüßt uns erst einmal der ziemlich untersetzte Hieronymus, ein perfekt schlecht gelauntes Faktotum aus Mahlsdorf-Süd. Selbst wenn er als Moderator nicht gerade be-zaubernd ist, zaubern kann er, vor allem mit Münzen und Karten. Mit seiner Partnerin Chantal bzw. „Schantalle“ sorgt er für den schnodderigen Berliner Charme des Abends.

Olle Kamellen der Zauberei werden kunstvoll durch den Kakao gezogen. Sei es das Kaninchen, das, statt aus dem Hut geholt zu werden, als martialisches Monster auftaucht. Sei es die zersägte Jungfrau, die weder zersägt wird noch Jungfrau ist. Oder der zähnefletschende Messerwerfer in der rasanten Nummer von Igor und Tatjana aus Kasachstan, die nicht nur mit Messern, sondern auch mit Äxten, Speeren und Armbrust aufeinander anlegen.


Artistische Klasseleistungen


Fauler Zauber also? Nein, die von Rodrigue Funke gecastete und inszenierte Show ist ein lustiges und vielschichtiges Spiel mit Illusionen, das alten Tricks neue Dimensionen verleiht. Statt Taschenspielerei setzt etwa Charlie Mag aus Spanien zu Flamenco-Rhythmen auf Kartenillusionen, eine verblüffend vielseitige Kunstform. Der Niederländer Dion van Rijt präsentiert sich mal als zaubernde Drag Queen, mal als White Magic Rabbit und lässt auf verblüffende Weise in einer klassischen Großillusion seine Assistentin verschwinden. Ein wenig Trash sei auch gestattet. Urgestein Otto Wessely, legendärer Dadaist der Magie, beherrscht die lustvoll-makabere Parodie der Zauberzunft.

Artistische Klasseleistungen liefert Lokalmatador Jochen Schell mit trickreicher wie hoch ästhetischer Ring-Jonglage und Kreisel-Manipulation, ebenso Seifenblasenkünstler Burl aus Amerika. Schier sensationell, wie Gildo Gomes mit seinen Körperverbiegungen die Gesetze der Anatomie außer Kraft setzt. Ein Newcomer aus Angola, vom Wintergarten auf Instagram entdeckt (da schimpfe noch einer auf die sozialen Netzwerke) und nun zum ersten Mal auf einer Varieté-Bühne.

Für die selbstbewusste weibliche Note in der noch immer von Herren geprägten Zaubererwelt sorgen Trapezartistin Kristina Bautina sowie die Wintergarten Magic Girls, die unterschiedliche Tanzstile mit Elementen aller Zaubergenres mixen und mit ihrem Einsatz die Nummernrevue in ein stimmiges Gesamtkunstwerk verwandeln. Chapeau!

Wintergarten-Varieté, bis 31. Oktober. Hier geht’s zu den Karten.


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3. Deutsches Historisches Museum - Gegen die Wand

Deutsches Historisches Museum:
Deutsches Historisches Museum: "Wolf Biermann - Ein Lyriker und Liedermacher in Deutschland" © Thomas Bruns

Ein kurzer Ausschnitt eines Schwarzweiß-Films zeigt eine Probe im Berliner Ensemble. Wir sehen die große Helene Weigel. Und da, der junge Mann an ihrer Seite? Ja, er ist es: Wolf Biermann. Für seine Arbeit als Regieassistent unter Weigel hatte er 1957 sein Studium der politischen Ökonomie abgebrochen. Am BE lernte Biermann auch den Komponisten Hanns Eisler kennen, der ihn als großes Talent des politischen Liedes aufbauen wollte. Tonmitschnitte vom Vorsingen gehören ebenfalls zu den dokumentarischen Schätzen im Deutschen Historischen Museum.

„Wolf Biermann. Ein Lyriker und Liedermacher in Deutschland“
heißt die Ausstellung über den 1936 in Hamburg geborenen Künstler, der seit frühester Jugend, seit seiner Übersiedlung aus politischer Überzeugung nach Ost-Berlin, meist mit dem Kopf durch die Wand wollte. Dazu passt die Ausstellungsarchitektur im DHM, die an eine Mauer erinnert. Salopp formuliert: Wo Biermann hinkam, gab es Theater, auch und gerade wenn die Vorstellung nicht stattfinden durfte. Wie 1963 in seinem Berliner Arbeiter- und Studententheater (b.a.t), dessen Stück „Berliner Brautgang“ über die Trennung von Liebenden durch den Mauerbau bei der Generalprobe abgesetzt wurde.

Bereits ein Jahr zuvor hatte es in der Akademie der Künste Ärger gegeben, weil Biermann in einem Gedicht die Funktionäre angegangen war. Die Liste der Eklats zieht sich wie ein roter (!) Faden durch Biermanns Leben, bis hin zur Feierstunde 2014 zum Mauerfall im Bundestag, als er sich als Redner die Abgeordneten der Linken zur Brust nahm. Dies alles macht die von Monika Boll kuratierte Ausstellung deutlich, die in acht Themenräumen Leben und Schaffen immer in einen kulturpolitischen Kontext stellt.


Deutsch-deutsche Zäsur


Die restriktive Politik der sozialistischen Kulturnation machte Auftritte und Veröffentlichungen Biermanns nahezu unmöglich. Gleichzeitig wurden seine Gedichte und Schallplatten (aufgenommen in der legendären Wohnung Chausseestraße 131) auch im Westen zunehmend bekannt. Es war wohl die Popularität, die den Künstler vor der Verhaftung bewahrte.

Und dann die deutsch-deutsche Zäsur: Biermanns legendäres Konzert vor 8000 Menschen in der Kölner Sporthalle, in der ARD übertragen. Drei Tage nach dem Auftritt bürgerte die DDR den Sänger aus. Eine Affäre mit weit reichenden Folgen, in beiden deutschen Staaten. Unter Protest verließen bedeutende Künstlerinnen und Künstler die DDR Richtung Bundesrepublik, deren Kulturlandschaft dadurch wichtige Impulse erhielt.

Das Kölner Konzert, das man sich im DHM in voller Länge anschauen kann, fand am Geburtstag von Biermanns Vater statt, der als Jude und Kommunist in Auschwitz umgebracht wurde. Das Harmonium, das Biermann bei dem Konzert spielte, ist jetzt ein Blickfang in der Ausstellung. Neben Objekten aus der DHM-Sammlung, dem Privatarchiv von Wolf und Pamela Biermann, die heute in Hamburg wohnen, stammen besonders viele Exponate aus der Berliner Staatsbibliothek, die den Vorlass Wolf Biermanns übernommen hat.
Der Mann, dem man gerne eine gewisse Egozentrik vorwirft, hat sich im DHM nicht eingemischt, die Ausstellungsmacher durften in Ruhe arbeiten. Das Ergebnis kann sich sehen lassen.

 

Deutsches Historisches Museum, bis 14. Januar.


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Eine Ehre für Piscator

Er zählt zu den innovativsten und streitbarsten Geistern in der Theatergeschichte und hat die Volksbühnenbewegung mitgeprägt. Erwin Piscator, Spielleiter in den 1920ern in der Volksbühne am heutigen Rosa-Luxemburg-Platz und nach seiner Rückkehr aus dem Exil ab 1963 in der Freien Volksbühne an der Schaperstraße, löste mit seinen Inszenierungen auch gesellschaftliche Debatten aus.
Es ist ein Unding, dass kein Platz, keine noch so kleine Straße in Berlin nach dem Intendanten und Regisseur benannt ist. Nun wird es zumindest einen Piscator-Saal geben. Am 13. September um 19 Uhr, im Anschluss an die Mitgliederversammlung von Kulturvolk e.V., wird der Veranstaltungsraum in der Ruhrstraße nach Erwin Piscator benannt. Schauspielstar Ulrich Matthes erhält an diesem Abend den 35. Erwin Piscator Award und liest Texte des Theatermachers.
Wer, auch als Nichtmitglied, dabei sein möchte, ist herzlich eingeladen.

Anmeldung bis zum 7. September unter: service@kulturvolk.de oder Tel.: 030 86 00 93 -51/52.


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