HEUTE: 1. „Die Anderen“ – Schaubühne / 2. Tipp: Zirkus-Show der jungen Talente – Varieté Chamäleon / 3. Senatoren-Gespräch mit Berlins Kulturchef Klaus Lederer / 4. Für zwei Tage geöffnet: Die Friedrichwerdersche Kirche
Und der Regen, der Regen, der rinnt. Rinnt unaufhörlich in eine spätherbstliche Düsternis sowie ein elend vernachlässigtes Hotel, das ein undichtes Dach hat und kaum noch Gäste. Die Herberge „Zum alten Kontinent“ weitab vom Schuss in der französischen Provinz, drei Kilometer durchs Dickicht bis zum nächsten Dorf, sie gehört dem Cognac-Fass Alda ‑ Jule Böwe bemitleidenswert versoffen, störrisch und zerbrechlich, aber kraftvoll fatalistisch nölend über alles einschließlich ihres Unglücklichseins. Gelegentlich kocht Wut in ihr hoch, doch permanent ist die Feindschaft mit Ehemann René (Kay Bartholomäus Schulze). Allein der Böwe wegen lohnt dieser Seltsamkeitsabend.
Was für ein gespenstisch mit ausgestopftem Getier garniertes, ungastliches Gehäuse. Alsbald wird klar: Im nach allen Regeln des Horrorfilms gebauten Bühnenbild von Christophe Engels und Karolien de Schepper steht ein Haus des Grauens. Denn Anne-Cécile Vandalems an der Schaubühne uraufgeführtes Stück „Die Anderen“ ist ein fürchterliches Schauerspektakel.
Da irrlichtert eine schwermütig singende Schreckens-Schamanin mit ausgestopftem Fuchskopf auf der Perücke (Ruth Rosenfeld); da ist von Kindern ist die Rede, doch nirgends sind welche, es gibt tödliche Unfälle, doch keine Toten sind zu finden. Ein schwer verletzter Flüchtling (Bernardo Arias Porras) taucht auf aus einem Lager, wird verpflegt, ausgenutzt, gedemütigt, weggesperrt. Ein Ensemble neurotischer Figuren (Stephanie Eidt, Felix Römer, David Ruhland, Ruth Rosenfeld) stolpert des Wegs, karrt im Auto nicht unfallfrei durch den Wald, dreht hysterisch auf, dann durch und wir ahnen es: Sie alle hier schleppen irgendein schlimmes Geheimnis mit sich.
Schließlich kommt eine Sozialarbeiterin des ominösen Lagers (Veronika Bachfischer) von weither aus der Stadt in den „Alten Kontinent“, um nach dem Flüchtling zu forschen. Und allmählich dämmert Licht in diese ländlich-menschliche Finsternis: Es ist elf Jahre her, als ein terroristisches Verbrechen sowie ein Akt blutiger Selbstjustiz aus der traumatisierten Dorfgemeinschaft eine von Hass zerfressene Opfer-Täter-Gesellschaft formte, die zusammenklebt durch ein archaisches Rache-Ritual. Mehr dazu sei nicht verraten, um dem artifiziellen, auch geschickt mittels Video hyperrealistisch inszenierten Thriller nicht die ekelhafte Pointe zu nehmen.
Wir bestaunen ein mit probaten Mitteln gemachtes, bizarres Illusionstheater, das zugleich desillusionierend wirkt. Ohne korrekte Zeigefingerei wird unaufdringlich begreiflich: Das Bedrohliche, Angstmachende verursachen nicht allein die anderen, die auf uns zu Kommenden. Vielmehr sitzt und wuchert es bis hin ins Verbrecherische in uns selbst, die wir uns daheim womöglich so geborgen fühlen. Selbst im entlegensten Idyll wurzelt und keimt das roh Zerstörerische, werden nur Vernunft und ungestillte Sehnsucht nach Glück kräftig unterminiert von verdrängter Schuld und wucherndem Irrsinn.
Kenner wissen um die belgische Autorin, Schauspielerin und Regisseurin Anne-Cécilie Vandalem seit 2017, als sie mit ihrem Stück „Tristesse“ beim Schaubühnen-F.I.N.D.-Festival gastierte; das gleichfalls horrible Zustände gruselig illuminiert. Die befinden sich auf einer dänischen Insel, deren Bewohner – wie jetzt am französischen Un-Ort – in Ängste, Depressionen, Schuld und Gewalt versinken. Dabei liegt das besondere der Autorin darin, dass sie gewitzt spielt mit Schauerromantik und Horrorgroteske, mit Video und schauspielerischem „Overacting“ und noch dazu hintersinnig witzige Dialoge findet, aber auch nicht spart mit unaufdringlich intelligent gesetzten Mythologie-Verweisen.
Bei allem Entsetzen sind „Die Anderen“ gut gemachtes Theater-Kino, grandioses Schauspieler-Theater. Leider ist nicht zu übersehen, dass die selbst mitspielende Regisseurin ihr Timing vernachlässigt. Zwischendurch nämlich schleppt sich das Zelebrieren der Düsternis und Unheimlichkeit. Liebhaber des Metiers ahnen alsbald, auf was das dramatische Konstrukt hinausläuft – auch wenn das Finale dann ordentlich schockt. Doch gerade das kommt eben nicht rüber wie der präzise Schuss aus der Pistole, sondern wie einer aus der Schrotflinte; also leicht verrutscht. Da könnte die Regisseurin noch üben im Zielen.
Trotzdem: Ein gefährlich züngelndes Höllen-Theater mit klassisch schlichtem Motto feiner Unterhaltung: Das Böse ist immer und überall.
(wieder 24.-27. Januar)
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Chamäleon meets Artistenschule heißt eine Veranstaltungsreihe des Varieté-Theaters Chamäleon in den Hackeschen Höfen. Weil bisher höchst erfolgreich, macht auch jetzt wieder das schöne Haus seine Bühne frei für die internationalen Talente der Staatlichen Artistenschule Berlin. Unter dem Motto: Kartons on Stage präsentiert der Artisten-Nachwuchs aus dem achten Ausbildungsjahr seine erste eigene Zirkus-Show um zu zeigen, was alles in ihm steckt. Zum Programm gehören Tanzakrobatik, Bouncing Ball Jonglage, Nummern am Trapez, Drahtseil, Chinesischem Mast sowie mit Cyr Wheel, einer kreiselnden Art von Rhönrad. Chef der mit viel Jux und Tollerei garnierten Produktion und ihr Regisseur ist Ronald Wendorf, Künstlerischer Leiter dieser einzigartigen Ausbildungsstätte.
(Montag, 20. Januar, 20 Uhr)
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Mehr als ein Jahrzehnt war der Mittvierziger Landesvorsitzender seiner Partei Die Linke und Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses. Klaus Lederer, promovierter Jurist, amtierte als rechtspolitischer Sprecher seiner Fraktion im Parlament. Mit dem Start der rot-rot-grünen Landesregierung übernahm er 2016 das Amt des Senators für Kultur und Europa und ist seither der beliebteste Politiker in Berlin. – Bleibt die Frage: Wieso Kulturpolitik; gibt es ein strategisches Kalkül für die Übernahme ausgerechnet dieses Ressorts?
Angetreten mit dem hohen Anspruch auf größtmögliche Transparenz bei kulturpolitischen und personellen Entscheidungen gilt es jetzt u.a. nachzufragen, wie die eigenen Ansprüche ans Amt im Alltagsgeschäft eingehalten wurden. – Alice Ströver, Geschäftsführerin von Kulturvolk / Freie Volksbühne Berlin e.V., wird dem Senator forsch auf den Zahn fühlen. Eine Gemeinschaftsveranstaltung mit Berliner Wirtschaftsgespräche e.V. (Donnerstag, 23. Januar, 19 Uhr, im Kulturvolk/Freie Volksbühne Berlin e.V. -Haus Ruhrstraße 6, 10709 Berlin.)
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Achtung Architekturfreunde! Am Wochenende 18./19. Januar lädt die Nationalgalerie der Staatlichen Museen jeweils von 10 bis 16 Uhr zu Tagen der offenen Tür in die Friedrichwerdersche Kirche in Berlin-Mitte. Das viele Jahre auf Grund von Sanierungsarbeiten geschlossene Haus wird an diesen beiden Tagen erstmals wieder bei freiem Eintritt zu besichtigen sein (es gibt Führungen zur Architektur- und Restaurierungsgeschichte), bevor sie ab Sommer 2020 wieder durch die Nationalgalerie als Museum genutzt werden wird.
Das längst säkularisierte Gotteshaus wurde von Karl Friedrich Schinkel geplant und von 1825 bis 1830 erbaut – nahezu zeitgleich mit seinem Alten Museum am Lustgarten. Zunächst in klassizistischer Ausführung gedacht, beugte sich der Architekt den Wünschen des Kronprinzen Friedrich Wilhelm, der einen Bau in „altdeutschem“, also neugotischem Stil vorzog. Nach dessen Fertigstellung wurde er von der deutschen und französischen Gemeinde der Evangelischen Kirche in Preußen genutzt.
Schwere Schäden im Zweiten Weltkrieg machten eine aufwändige Sanierung in den Jahren 1979 bis 1986 erforderlich. Die Wiedereröffnung und erstmalige Nutzung als Museumskirche erfolgte anlässlich der 750-Jahr-Feier Berlins anno 1987. Seit 2012 war das Kirchengebäude nur noch von außen erlebbar. Das Entstehen luxuriöser Wohnblöcke in unmittelbarer Nachbarschaft ‑ die Denkmalpflege wusste es nicht zu verhindern ‑ verursachte gravierende Schäden, die eine sehr kostspielige, jüngst erst abgeschlossene Instandsetzung und Restaurierung nach sich zog.
Die Friedrichwerdersche Kirche ist der einzige in der Berliner Innenstadt erhaltene Kirchenbau Schinkels, dessen Fassade und Innenraum heute noch dem ursprünglichen Erscheinungsbild entsprechen. Wie vor der Schließung 2012 wird das Bauwerk nun endlich wieder von der Alten Nationalgalerie als Dependance für die Präsentation von Skulpturen genutzt werden. Im Sommer eröffnet die neu konzipierte Ausstellung zu Bildhauerwerken aus dem Bestand der Nationalgalerie von der Schinkel-Zeit bis zum Kaiserreich. Große Vorfreude!
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