HEUTE: 1. „Amphitryon“ – Schaubühne / 2. „Marias Testament“ – Renaissance Theater
Was für ein pointiert freches Sprechstück, was für ein artistisches Spielstück, was für ein witziges Musikstück und was für ein prunkvolles Schaustück, dieses frivol-luftige raus-und-rein-in-die-Seitengassen-Stück „Amphitryon“ von Molière, pfiffig ins Deutsche gereimt von Arthur Luther.
Da treibt Gottvater Jupiter (Axel Wandtke) bösen Schabernack mit zwei glücklichen Menschen, indem er sie jeweils mit Doppelgängern konfrontiert und sie mit den auflodernden Zweifeln an ihrer Identität an den Rand des Unglücks treibt, bevor er gnädig alles aufklärt. Ende gut alles gut! Dass er unerkannt als Double des siegreich thebanischen Feldherrn Amphitryon (Florian Anderer) dessen Gattin Alkmene (Annika Meier) schwängerte wird ohne Mucks hingenommen, die keimende Frucht ist schließlich Herakles…
„Amphitryon“ von Jean-Baptiste Poquelin alias Molière ist Herbert Fritschs vierte Inszenierung an der Schaubühne, bevor er sie demnächst verlässt. Sie feiert noch einmal furios die Fritsch’sche Spielwut; entfesselt einen dahin wuselnden Scherz mit ein bisschen tieferer Bedeutung und allerhand höherem Blödsinn nebst hysterischem Unsinn sowie allgemeiner Verwirrung und Verunsicherung. Alles zusammen mag man für gegenwärtige Gesellschaftszustände (oder war das seit jeher schon so?) als Gleichnis nehmen.
Die heimliche Sensation dieses lustvollen Abends, die sich selbstverständlich in keinem Moment als solche spreizt, ist jedoch der Berlin-Einstand des Wiener Burgtheater-Stars Joachim Meyerhoff als Sosias. Trotzdem gilt auch diesmal wie eigentlich immer an diesem herrlichen Theater: Das Ensemble ist der Star! Und gibt uns ein Fest.
Deshalb an dieser Stelle die noch nicht gefeierten Sterne am Komödianten-Himmel: Carol Schuler als Sosias’ Frau Cleanthis, Bastian Reiber als Merkur und Doppel von Sosias Meyerhoff und Werner Eng als das Wirrwarr kommentierende, kess kostümierte Nachtgestalt. Überhaupt diese des Sonnenkönigs Mode karikierende sexy Kostümpracht von Victoria Behr! Dazu im Kontrast schlicht-schwarz das Musikanten-Duo, das am Klavier (Ingo Günther) sowie am Percussions-Apparat tobt (Taiko Saito).
Auch ist wohltuend just in unseren grau lastenden Zeiten, dass die in fein lichte Fritsch’sche Farbenfreude und champagnerschäumenden Esprit getauchte Inszenierung nicht mit eingestreuten Heiner-Müller-Zitaten oder aufgepfropften Theorien über Identitätsprobleme zeigefingerhaft beschwert wird. Eine Farce, was sonst. Eine rockend-barockisierende, keck die Antike grüßende Preziose. Ein dreistes Lüftchen! – Wie schön, dass derart entspannt Französisches einmal wieder im angestrengt grüblerisch Allemagne gewagt wird.
(wieder 31. Oktober; 1.-3. November)
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Maria, die klaglos schmerzensreiche, lieblich reine, die Mutter Gottes, gehüllt in himmelblaues Tuch, das zarte Kind in den Armen oder den gemarterten toten Mann: So kennt die Welt diese im Neuen Testament ansonsten seltsam unbeschriebene, hohe Frau der Christenheit, eine brave Ikone seliger Entrücktheit.
Der irische Erfolgsautor Colm Tólbin, 1955 in Wexford geboren und berühmt geworden vor allem durch Verfilmungen seiner Werke („Rückkehr nach Montauk“), zeichnet in seinem Roman „Marias Testament“ ein radikal entgegengesetztes Marienbild. Aus „Maria, Mutter Gottes“ wird „Maria, Mutter“; eine zornige, dabei nüchtern aufs Leben schauende Frau, die am Ende ihres Lebens schwer mit ihrem Schicksal hadert, das gebunden ist an den Kult sowie die Legendenbildung um ihren Sohn, der sich von ihr abwandte, der seine Herkunft bis hin zur Auferstehung nach dem Märtyrertod für göttlich hielt und seine Taten für Wunder.
Tólbins Text ist ein wuchtiger, verstörender, krass realistischer Gegenentwurf zur biblischen Heilslegende. Eine Abrechnung mit Jüngern und Erlösern, deren Kult und Religion Maria ablehnt. Sie ist ein gebrochenes, dennoch aufrechtes, aufrichtiges Weib, das mit dem Bauch denkt und fühlt mit dem Kopf und im Lebensrückblick die Stilisierung ihres Sohnes zum Menschheitserlöser samt einhergehender Heiligsprechung für ideologisch motiviertes Menschenwerk hält. Für Betrug. Für Politik.
Der dramaturgische Coup des Autors ist, diese mütterliche Rückschau aufs wahnwitzige und schließlich grauenvoll Erlebte in einen Monolog zu gießen, der wiederum klingt als große kritische Auseinandersetzung mit zwei imaginären Aufpassern (zwei der Jünger aus der „nichtsnutzigen Männerhorde“ Jesu), die – hier freilich vergebens ‑ über den „ewigen“ Erhalt der Heilslegende wachen.
Tief beeindruckt von seinem literarischen Fundstück, hat der Regisseur Elmar Goerden aus dem Tólbin-Roman einen dramatischen Theatertext gefiltert, wobei ihm für die Figur der Maria von Anfang an die große Schauspielerin Nicole Heesters vor Augen stand. Für sie hat er das spannende, von Blasphemie völlig freie Stück geschrieben und inszeniert.
Die Heesters, ganz in flammendes Rot gehüllt, ist keine Heroine des Leidens, kein Klageweib, vielmehr eine mütterlich stolze Hausfrau in der Küche beim Abwasch und Putzen fast wie von heute. Sie wirkt lebensprall, noch mit mehr als achtzig Jahren. Erzählt, des Sprechens mächtig wie heutzutage wenige, hoch konzentriert, dabei feinnervig differenziert zwischen Resignation und Empörung (die trickreiche Wunderheilung oder die Verwandlung von Wasser zu Wein), zwischen Entsetzen (die sadistische Kreuzigung als marktschreierisches Volksfest) und Schuldschmerz (aus Angst floh sie von Golgatha angesichts des unerträglich elend Verreckenden). Diese Mama Maria redet sich endlich von der Seele ‑ Tränen und Schreie tapfer schluckend ‑, was sie als Zeugin für wahr erlebte. Keine Sentimentalitäten, trotzallem. Und dennoch herzergreifend. Eine Mutter spricht zu uns von ihrem einzigen, ihrem so schwierigen Kind. Das bittere Fazit: Zu sterben, um die Menschheit zu retten, dieses Opfer sei es nicht wert gewesen.
(wieder 3., 4., 6., 7., 9. November)
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