HEUTE: 1. „Zeppelin“ – Schaubühne / 2. „Der Untertan“ ‑ Die Vaganten / 3. Volksschauspieler Herbert Köfer ist Weltmeister
Was für ein Klettergerüst! Es wäre der Knaller auf jedem Kinderspielplatz, steht aber auf der in lichtes Blau getauchten Schaubühne als das monströs-filigrane Gerippe eines Zeppelins. Ein solches Fluggerät schwebte Anfang der 1930er Jahre „in ganz geringer Höhe“ über die Münchner Oktoberfestwiese. In Ödön von Horváths „Ballade voll stiller Trauer, gemildert durch Humor“ und schlicht betitelt mit „Kasimir und Karoline“. In diesem sarkastisch-melancholischen, böse-bittersüßen „Volksstück“ dreht sich alles um „das alte Lied“ (unerfüllter Liebe) – wie auch in Herbert Fritschs grotesk-artistischem, grellbuntem Bilder-, Musik- und Zirkustheater sich alles um die alten Lieder dreht, mit denen wir Menschen all unsere Sehnsüchte und Nöte nebst wenigen Glückseligkeiten in die Welt hinein summen, säuseln, lallen, grölen.
Also Horváth und Fritsch, die beiden traurigen Träumer, die passen prima zusammen. Entsprechend groß war denn auch die Vorfreude, dass der aus dunkler Depression zuletzt an der Volksbühne zu lichtem Ruhm aufgestiegene, ja auferstandene Herbert Fritsch jetzt sein neues Domizil am Kurfürstendamm mit einer Collage von Sätzen, Satzfetzen oder bloß Worten aus Horváth-Stücken eröffnet. Sinnig-griffiger Kurztitel: „Zeppelin“.
Da denken wir an den Traum vom und die Angst vorm Fliegen, an lustvollen Auf- wie entsetzlichen Absturz. Steigen, Schweben, Fallen, Retten, Untergehen. Der alte Singsang. Schon im Voraus hörten wir im Geiste die ewig himmlischen wie höllischen Lieder des Lebens – allein schon durchs Anschauen sinnbildstarker Choreographien, mit denen Fritsch seine extrem komödiantische Schar Schauspieler über die Bühne wirbelt und ihnen obendrein signifikante Stichworte in die Münder legt. So entstanden, man wusste gar nicht genau wie, seine lebensphilosophischen Lustbarkeiten der kunstvollsten, feinsinnigsten Art. So war das bislang…
Aber ach, ausgerechnet jetzt mit Horváth entstand nichts weiter außer sportlichem Herumzappeln auf dem Zeppelin-Gerüst. Ein bisschen Singsang mit Offenbachs „Belle Nuit“, ein bisschen Fußballspiel, Akrobaten-Training, Grimassieren, Herumrennen. Selbstreferenzielle Manien statt Choreographie. Keine Bilder. Horváths Wort-Mix bloß Silbensalat. Ohne feine Drähte zu starken Assoziationen über die alten, ewigen Menschenlieder mit ihrem Weh und Ach. Keine stille Trauer, keine freche Daseinsfreude, kein Witz und schon gar kein Humor, höchstens Klamauk. Banale Klettergerüst-Show wie aus dem Kindergarten.
Was für eine Luftnummer, bei der – einziges Paradox ‑ die Luft raus ist. Was für ein routinierter, unfroher, ja ärgerlicher Abend bei all dem kindchenhaft Grellbunten ums fantastisch illuminierte Alugestänge (Bühne: Fritsch, Kostüme: Victoria Behr). Bleibt die untilgbare Hoffnung, dass beim nächsten Schaubühnen-Fritsch mit dem freilich hinreißend potenten All-Star-Schaubühnen-Fritsch-Ensemble alles, alles wieder gut wird.
(wieder 25., 26., 27., 30. September)
Diederich Heßling – was für eine Figur, und auch sein Name umreißt schon ein Bild; nämlich das vom klassisch hässlichen Deutschen: voll von brutalem Größenwahn und bedingungsloser Unterwerfungslust; Motto: „Nach oben buckeln, nach unten treten“. Es ist die elende, schon ins Psychotische gesteigerte deutsche Mischung, die mit nationalistischem Hurrapatriotismus alles radikal niedermacht, was da nicht perfekt hinein passt.
Diederich Heßling ist der grauenvoll komisch kleinbürgerliche Held in Heinrich Manns großem satirischem Gesellschaftsroman übers wilhelminische Kaiserreich mit dem prägnant-programmatischen Titel „Der Untertan“, erschienen 1918, Fertigstellung des Manuskripts jedoch schon 1914. Der Autor im Rückblick: „Als ich die Gestalt des Untertan aufstellte, fehlte mir von dem ungeborenen Faschismus der Begriff, und nur die Anschauung nicht.“
Mit ironischer Distanz wird der skrupellos opportunistische Aufstieg des „weichen Kinds“ Diederich an die Spitze des (fiktiven) Städtchens Netzig, das der geradezu groteske ideologische, präfaschistische Einpeitscher Heßling machtgeil umformt zu einer entsetzlichen Hochburg des Nationalismus, der alles Liberale oder Andersartige, alles Leidende oder Schwache (und die Juden sowieso) ausmerzt.
Heinrich Manns präzise Analyse vom Wesen deutschen Ungeistes hat leider prinzipiell an Gegenwärtigkeit nichts eingebüßt, da gerade heutzutage wieder nationalistischer Macht-Wahn unheilvoll aufflammt. Bereits 1951 wurde „Der Untertan“ bei der Defa von Wolfgang Staudte verfilmt mit Werner Peters in der Hauptrolle. Dass jetzt Lars Georg Vogel den „Untertan“ fürs kleine Format der Vaganten-Bühne adaptierte, ist ein zwar äußerst löbliches, aber eben auch höchst schwieriges Unterfangen. Um es gleich zu sagen: Das redlich bemühte doch durchweg überforderte, weil von der Regie unterforderte, allein gelassene Ensemble sowie Lars Georg Vogel, verantwortlich für Script und Regie und Ausstattung, sind gescheitert.
Allein schon der Dramaturgie der Szenenfolge von Heßlings fürchterlich komischem Lebenslauf fehlt es an Stringenz, mithin im einzelnen an Klarheit und Verständlichkeit. Vor allem aber zeigt sich hier bereits das Grundproblem der Romanadaption: Dem Theatralischen fehlt die Balance aus Fürchterlichem und Komischem. Der Abend rutscht immer wieder ab ins Albern-Klamottige. Das Groteske ist niemals grotesk, und das Entsetzliche nie wirklich entsetzlich. Annonciert war eine „Reise in die Seele der Deutschen“, doch es blieb bloß beim mehr oder weniger amüsierten kurz mal grinsend Draufschauen. So hangelte sich der Abend, von wenigen ernsthaften Momenten freilich abgesehen, eher lustig am aufgesetzt Satirischen dahin – bis hin zum befremdlich fröhlichen Mitmachtheater bei Bier und Brause fürs Publikum.
Und auch das innovativ gemeinte Vorspiel (modisch Parcours geheißen) draußen vor dem Theater auf der Kaisertreppe des benachbarten (wilhelminisch-barocken) Theater des Westens ist nicht viel mehr als nettes Witzeln über Heßlings albernen Begriff von teutscher Kunst.
Schade! Es sollte großes politisches, zugleich aber auch packend unterhaltsames Theater werden – packte jedoch in keinerlei Hinsicht. Und trotzdem: Die erwiesenermaßen sehr leistungsfähigen Vaganten werden an diesem immerhin ziemlich aufwändigen Scheitern wachsen.
(wieder 4.-7. Oktober, 19.30 Uhr)
Sein erstes Engagement unterschrieb er am 9. September 1940 bei den Schlesischen Landesbühnen; Monatsgage: 180 Reichsmark. Und im Stadttheater Brieg bei Oppeln (heute: Brzeg/Polen) gab’s für den 19-jährigen Anfänger die erste Rolle: Den Kronprinzen Friedrich in dem historischen Drama „Katte“, das von der verbotenen Freundschaft zwischen dem preußischen Königssohn und dem Leutnant Hermann von Katte erzählt, von der Flucht der beiden aus der Militärmaschinerie und schließlich von der Hinrichtung Kattes auf der Oder-Festung Küstrin; Friedrich wurde gezwungen, Zuschauer des grausigen Spektakels zu sein – eine anspruchsvolle Rolle, in der Jungschauspieler Köfer zeigen konnte, was er drauf hat.
Das war vor 77 Jahren. Damit ist der heute 96 Jahre alte und in allen Fächern von Satire bis Tragödie erprobte Schauspieler der „dienstälteste, noch aktive Schauspieler der Welt“. Ein sensationeller Titel, mit dem ihn das Rekord-Institut für Deutschland jetzt ganz amtlich mit Urkunde ehrte. Auf die Frage, wann er denn abtreten wolle, sagte der rüstige Rentner, der vor drei Jahren erst seine 153-Quadratmeter-Neubauvilla am Seddiner See bei Michendorf bezog: „Das entscheide ich nach Befinden. Im Moment bin ich noch fit und plane bis zum 100. Geburtstag.“ – Mit seinem Ensemble „Köfers Komödiantenbühne“ geht der Volksschauspieler im Herbst mit dem Schwank „Ein gesegnetes Alter“ von Curth Flatow wieder auf Tournee. ‑ Für die Fans zwei Termine: Köfers Truppe gastiert am 5. 11. in Neustrelitz (Friedrich-Wolf-Theater) und am 19. 11. in Eberswalde (Haus Schwärzetal), jeweils 16 Uhr.
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