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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 490

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

23. September 2024

HEUTE: 1. Berliner Ensemble – „Tod eines Handlungsreisenden“ / 2. Schaubühne – „Spinne“ / 3. Schlossparktheater – „Stasi, Stress und Stolperfallen“

1. Berliner Ensemble - Familiendrama als Schmonzette

"Tod eines Handlungsreisenden" im Berliner Ensemble © Jörg Brüggemann

So zart und sanft. So einfühlsam besorgt um ihre kaputte Familie. Dabei leise ringend mit Verzweiflung, wuchernder Hoffnungslosigkeit – bis Wut und Abwehr gellend ausbrechen bei dieser nur scheinbar Zerbrechlichen. Eine traurig Liebende, ein waidwundes Muttchen und, wenn es sein muss, eine strenge Mutter. Gedemütigtes Eheweib aber auch starke Frau – das ist die Linda Loman der zutiefst berührenden, überwältigend wirkungsmächtigen Schauspielerin Kathleen Morgeneyer. Ambivalenzen, Chaos der Gefühle, seelische Wechselbäder, das spielt sie wie kaum eine andere!

Sie ist das Kraftzentrum in Max Lindemanns Inszenierung von Arthur Millers sentimentalem US-Kleinbürger-Drama „Tod eines Handlungsreisenden“. Und nicht die Titelfigur Willy Loman, Handelsvertreter aus Brooklyn, der, ausgebrannt und aussortiert von der gnadenlosen Härte des Geschäfts, entsetzlich untergeht.


Viel Hin und Her und Hoch und Runter


Als „pathetisches Rührstück“ kritisierte der Autor selbst sein gesellschaftskritisches Werk von 1949. Dennoch wurde es mehrfach verfilmt und wird noch immer oft gespielt. Nicht unbedingt wegen des angeprangerten Systems kapitalistischer Ausbeutung, sondern wegen Millers packender Studie einer deklassierten, zunehmend sich selbst zerstörenden Familie. Da sind das in primitivem Macho-Wahn hilflos erstarrte Familienoberhaupt Willy (Oliver Kraushaar als notorisch dämlicher Brüllaffe), seine beiden Söhne Biff (Max Gindorff als durchtriebener Taugenichts) und Happy (Jannik Mühlenweg als Schürzen jagender Schlawiner) sowie die kluge, mit dem Desaster ringende Mama Linda.

Es ist das Setting für ein aufregendes Psychodrama. Doch Lindemann verläppert sich in Umständlichkeiten, statt konzentriert auf die intensive Zeichnung der Figuren zu setzen. Obendrein drängt er in mehr als zwei länglichen Stunden das Trio der kaputten Kerle emsig in Richtung Knallchargen. Dazu ein Hin und Her zwischen Mikrophonen links und rechts und in der Mitte sowie das überflüssige Hoch und Runter eines unsinnig komplizierten Bühnenbilds von Marlene Lockermann. – Aber ach: Da ist ja noch Linda, die große Kathleen Morgeneyer…

Berliner Ensemble Neues Haus, 30. September und 17. November. Hier geht’s zu den Karten.


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2. Schaubühne - Zwischen alter Liebe und neuen Konflikten

"Spinne" in der Schaubühne © Gianmarco Bresadola

Sie waren eng miteinander, Julia und Kris. Sehr eng. Kris, der Starke, Kluge, Pfiffige – ihr wichtigster Mensch in Kindheit und Jugend; damals, in Bremen. Sie konnten sich alles sagen, wollten die Welt retten. Und Kris hielt die Hände über diesen Sturm und Drang; beschützte sie, die Dünnhäutige und so leicht zu Erschreckende.

Einmal, Julia war gerade acht, überkam sie schlagartig „die Trostlosigkeit des Universums“. Und ein andermal beim kindlichen Abenteuerspiel, fanden sie einen Ast im Sand, zogen ihn heraus und fanden den „dicken, haarigen Körper einer riesigen dunkelbraunen Spinne“. Fortan geistert das Ekel-Tier als Schreckensbild durch Julias Hirn.

Und liefert der Autorin Maja Zade den Titel für ihr neues Werk. Einerseits erzählt das MonologstückSpinne“ von einer unerfüllten Liebesgeschichte. Andererseits von einer großen Entfernung zweier Menschen, die sich insgeheim nahe blieben. Und von böser Entfremdung.


Das Polit -Drama versandet im Klischee-Kompendium


Klingt nach großem Drama, bleibt aber stecken im traurigen Bild einer unglücklichen Mittvierzigerin, die als unterbezahlte, mäßig begeisterte Lektorin und Übersetzerin unter prekären Verhältnissen im Berliner Wedding lebt. Die stramm festhält an ihrer von sozialer und globaler Gerechtigkeit geprägten Gesinnung. – Und deren Einsamkeit dazu führt, nach dem Urfreund zu forschen.

Julia wird fündig in Charlottenburg. Dort betreibt Kris, nun auch in Berlin, eine erfolgreiche Anwaltskanzlei. Man verabredet sich beim Edelitaliener. Überraschung: Ehefrau Christiane mit Sohn Korbinian futtern mit. Sehr unsympathisch: Der Bengel ein verwöhnter Naseweis, sie Juristin mit „aufgespritzten Lippen“, momentan Hausfrau. Beide lieben Shoppen und Klamotten.

Bereits beim zweiten Bier gesteht Kris, er berate seine Klientel, „wie man am besten das System austrickst“. Gemeint sind AfD – sowie die Demokratie, an der er zweifle: Sie werde missbraucht. – Der Kontrast ist klar: Die kummervolle Alt-Linke neben dem saturierten Neu-Rechten mit spießigem Anhang. Die Ausgangslage für einen krachenden Konflikt. Denn Kris, man ist umgestiegen auf starken Rotwein, sagt, was Sache sei.


Linke Versäumnisse, rechte Angriffe


Die AfD, sein Klientel, die einzige Partei, die sich noch ansatzweise um das normale Volk kümmert, um Leute, die wenig oder moderat verdienen; die, wie Trump begriffen habe, unzufrieden seien und sich was ändern müsse. Auch müsse man die überfordernde Einwanderung sowie Abhängigkeiten von anderen Ländern begrenzen, Einstellungsquoten bezüglich Geschlecht und Nationalität abschaffen, sich von der Europäischen Union lösen, die ihren Grundgedanken vergessen habe und nur noch finanzielle Interessen bediene, von denen bestimmte Staaten profitierten, was Deutschland zu bezahlen habe. – Die einschlägige Problemliste. Eine Steilvorlage für Julia.

Doch der fällt erstaunlicherweise nicht viel ein. Sie wütet allgemeinplätzig zurück: „Nazi“, „Rassist“, „Arschloch“; „rechter politischer Schrott“, stottert „Gerechtigkeit“ und beschwört – immer, immer wieder kommt die Erinnerung! – alte Gemeinsamkeiten, vergangene Vertraulichkeiten mit Kris. Draußen vor der Tür bei der gemeinsamen Rauchpause. Und wird obendrein gequält von den beständig auftauchenden Horrorbildern mit Spinnen, Würmern, Schlangen, Käfern sowie wirr flackernden Textflächen, die per Video über die Rückwand ihrer Wohnküche flimmern (Bühne: Nina Wetzel), dem unwirtlichen Ort, wo Julia uns das alles rückblickend erzählt, was sie einst in Bremen und jetzt im Charlottenburger Lokal erlebte.


Die Peters ist der Star und rettet den Abend


Da endlich kommen wir auf Caroline Peters, die jede der vier auftretenden, klischeebeladenen Figuren durch ihre beeindruckend virtuose, dabei präzise Kunst des Sprechens, der Mimik und Gestik vorführt. Da wechseln Charme, Befremden, Häme, Hohn, Sarkasmus, Witz mit Zerknirschung, Wut, Bitterkeit, Genervtheit und Lebensangst. Allein das bravouröse Spiel der Peters macht den von Maja Zade arrangierten Abend interessant. Das bekannte Kompendium rechter Positionen eher nicht, das hier folgenlos auf bekannt linke Gesinnung trifft, sie geradezu sprachlos macht. Oder gilt etwa diese Art Ohnmacht als provokativer Hieb der Veranstaltung?

Dabei avisierte die an der Schaubühne so erfolgreiche Autorin und Meisterin süffiger Konversationsstücke („Status quo“, „Abgrund“, „Ödipus“) mit „Spinne“ einen Monolog über die Schwierigkeiten des Dialogs „trotz politischer Konflikte und unterschiedlicher Lebensentwürfe“. Das allerdings ging ins Aus.

Immerhin, dank der großen Peters gelang die Skizze einer urbanen, vergleichsweise erfolglosen, irritierend hilflosen, dennoch um Kraft ringenden, aber stramm selbstgerechten, angestrengt emanzipierten Single-Frau, tragisch umwölkt, neurotisch angefressen.


Realitäten zernichten Ideale


Zum Schluss liegt sie – schlimme Pointe – als schimpfendes, schreiendes, verzweifelt um sich schlagendes Häufchen Elend am Boden ihrer kalten Küche (kein Geld für Heizung). Zuvor bekam sie bedenkenswerte Ratschläge vom coolen Kris: Man müsse vernünftig sein, Träume aufgeben, sich umorientieren. Und wissen, was man ändern könne und was nicht. Nüchternheit! Schließlich habe auch
er sich neu orientiert wie viele Ex-Linke ebenfalls. – So hat denn das Publikum zum harten Schluss einiges zum Nachdenken. Jetzt gerade.

Schaubühne, 3., 4, und 5. Oktober; 10. und 11. November. Hier geht’s zu den Karten.


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3. Schlosspark Theater - Buddeln am Fluchttunnel unterm Stasinest

"Stasi, Stress und Stolperfallen" im Schlosspark Theater © DERDEHMEL/Urbschat

Vorab ein guter Rat ans Publikum: Unbedingt für den eigenen Humor ein Fass schwarze Farbe mitbringen. Die nämlich brauchts für das Stasi-Spaßstück um Peggy (Sabine Fürst) und Sandro (Bürger Lars Dietrich). Buddelt doch das bestürzend einfältige Paar ausgerechnet im Keller unter der grenznahen Wohnung des notorisch notgeilen DDR-Geheimdienstlers Major Hofmann (Tonio Arango) an einem Fluchttunnel nach Westberlin. Und beide stolpern, wie könnte es anders sein, prompt unter verständlicherweise viel Stress in die lebensgefährlichen Fänge des Apparats der Staatssicherheit.

Das Motto dieses seltsam nostalgischen Theaters „
Stasi, Stress und Stolperfallen“ annonciert eine urkomische Veranstaltung. Zwar geht es in dieser vom französischen Autorengespann Patrick Haudecoeur & Gerald Sibleyras mit reichlich realitätsfernem Hickhack vollgestopften Flucht-, Sex- und Lovestory unentwegt dämlich zu bis zur Schmerzgrenze. Aber zum Lachen ist da nicht viel. Denn wer will schon wirklich kichern, wenn von Knast, gar von Straflagern in Sibirien oder von Folter die Rede ist und aus dem Off die MG-Salven der Grenzwächter vom nahen Todesstreifen uns um die Ohren knallen.


Wahnsinn allein ist noch nicht komisch


Politische Schreckensgeschichten von damals im Nachhinein als Komödie zu präsentieren, das kann man machen, verlangt aber extreme Könnerschaft. Mit kindisch realitätsfernen „Republikflüchtlingen“ und Deppen der bewaffneten Staatsmacht kommt bloß Blödsinn zustande.

Da mag der von uns ansonsten geschätzte
Regisseur Folke Braband noch so fleißig das Instrumentarium der Klamotte plündern, mit dem er das verzweifelt agile Ensemble durch den Schwachsinn jagt (Caroline Beil als Stasi-Offiziersgattin Hofmann sowie steile Margot-Honecker-Parodie, Marko Pustisek als hampelmännischer BND-Undercover und Marc Laade als Einfallspinsel der Agentenarmee von Markus Wolf). Dazu als Stimmungsmacher: eingespielte Hits aus dem Polit-Liedgut der Genossen.

Ich fürchte, selbst allerschwärzester Humor nützt da nix. Und auch nicht
Dieter Hallervordens angestrengt witzige Übersetzung ins (DDR-)Deutsche, die mit Klischees wie Soljanka, Spreewaldgurke oder Kalinka-Kalinka nur so um sich wirft. Die womöglich aufklärerisch gemeinte Stasi-Stress-Groteske verendet schmählich in ihren Stolperfallen. Eigentlich schade. Sogar die finale Pointe verpufft: der Mauerfall.

Schlosspark Theater, bis 20. Oktober. Hier geht’s zu den Karten.


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Extra Tipp:
 Gedenken an DT-Schauspieler, Regisseur und Schiller-Theater-Intendanten Alexander Lang, der Ende Mai mit 82 Jahren verstarb.
DT-Matinee am 28. September, 11 Uhr. Der Eintritt ist frei.

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