Deutsch von Jürgen Gosch und Wolfgang Wiens
„Der Menschenfeind“ ist auf den ersten Blick eine aufreizend schlichte Komödie: Alceste, ein adliger Schriftsteller, liebt Célimène, doch die umworbene junge Witwe hält ihn hin. Ungeduldig begibt er sich in ihr Palais um von ihr ein klares Bekenntnis zu hören. Dort trifft er auf zahlreiche kleine und größere Heuchler, auf Freunde und Konkurrenten, auf ihm gewogene Frauen. Alceste ist allen bekannt: ein anstrengender Charakter, klug, witzig, wohlhabend und voller Hass auf die Gesellschaft, zu der er gehört wie sie zu ihm. Er schlägt um sich, verletzt mit Worten, predigt unbedingte Wahrheit, Kompromisslosigkeit und gerät dabei immer mehr ins Abseits. Weltflucht scheint der einzige gehbare Weg für den Menschenfeind.
„Molière züchtigte die Menschen, indem er sie in ihrer Wahrheit zeichnete“, so Voltaire hundert Jahre nach Entstehung des Menschenfeind über seinen Landsmann. Und tatsächlich spießt Molière seine Figuren wie Insekten auf und offenbart sich dabei als Menschenkenner und Komödienschreiber zugleich. Irgendwo zwischen steilem Egoismus und zu Herzen gehender Verlorenheit siedelt er seine Figuren an und liefert sie dem Lachen des Publikums aus. Glühendste Empörung, Antipathie, Ablehnung kommen ins Wanken, das festgefügte Menschenbild bekommt Risse, Schwächen werden ertragbarer – bestenfalls auch die eigenen.
Vermutlich ist „Der Menschenfeind“ Molières am meisten autobiographisch geprägtes Stück. Am Hof Ludwig des Vierzehnten, endgültig angekommen, klarsichtig und verführbar und einer um 21 Jahre jüngeren Frau erlegen, hat Molière den Menschenfeind in der Uraufführung selbst gespielt. Er wusste genau, dass nichts komischer ist als der Mensch im Strudel seiner Schwächen. Er durchschaute die Mechanismen des Hofes und dessen Macht-Hierarchie. Die Sitten und Regeln, die Masken und Selbstinszenierungen, die Rigidität, mit der ein konformes Verhalten gefordert und Nonkonformismus bestraft wurde – all das war dem Dichter bewusst. Auf der anderen Seite wusste er um den natürlichen Egoismus und die tiefliegende Bösartigkeit des Menschen und sah die Erfordernis eines gesellschaftlichen Vertrags. Doch wie sähe ein solcher optimalerweise aus? Wie lauteten die Regeln? Wieviel Ehrlichkeit, wieviel Diplomatie, wieviel Schein und wieviel Unbedingtheit vertrügen wir? Alceste gibt darauf eine Antwort, seine Lächerlichkeit eine andere – wo sich der Zuschauer positioniert – in seiner Zeit – ist wirklich interessant.
Regie | Anne Lenk |
Bühne | Florian Lösche |
Kostüme | Sibylle Wallum |
Musik | Camill Jammal |
Dramaturgie | Sonja Anders |
Mit | Elias Arens Manuel Harder Judith Hofmann Lisa Hrdina Franziska Machens Ulrich Matthes Jeremy Mockridge Timo Weisschnur |